"Die WM – ein Wintermärchen?" war für den Grimme Online Award 2011 nominiert! Aus 2100 Vorschlägen wurden 25 Webseiten ausgewählt, darunter unsere. Am Ende zählten wir zwar nicht zu den Ausgezeichneten, aber allein die Nominierung ist für uns ein toller Erfolg und ein Ansporn für unsere nächsten Reise.
Grimme Online Award 2011 Nominiert
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1. Juli 2010

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Wir haben Zuwachs bekommen. Das neue Mitglied unserer Wintermärchen-Mission ist etwa zehn Zentimeter groß, seine Mundwinkel hängen chronisch nach unten. An der Stelle seiner Augen stecken je zwei grobe Stiche im Filz und in seinem Magen vier Nadeln. Es ist eine Voodoo-Puppe im Trikot der argentinischen Nationalmannschaft. In unserem Auto (es ist inzwischen der dritte Mietwagen, der erste hatte einen Reifenschaden, der zweite über Nacht einen veritablen Sprung in der Frontscheibe) bekam es während der Überfahrt von Durban nach Johannesburg einen Ehrenplatz: direkt unter dem Rückspiegel an der Kordel, mit der wir den Wimpel des Bayerischen Fußballverbandes und unsere Discokugel befestigt haben, mit der wir unser WM-Mobil geschmückt haben. Die Kordel haben wir, wie es sich gehört, um den Hals der Puppe gewickelt – es ist unser Beitrag zum Triumph der Deutschen über Argentinien.

Wir haben sie von Guilherme und Alex geschenkt bekommen, zwei Brasilianern, die wir in unserem Guest House in Durban kennengelernt haben. Die beiden sind seit dem letzten Gruppenspiel der Deutschen gegen Ghana im Land, das sie sich im Stadion angesehen haben. Danach standen die Partien Italien gegen Slowakei, Brasilien gegen Portugal und das Achtelfinale zwischen Niederlande gegen die Slowakei auf ihrem Programm. Am Freitag stehen sie im Stadion von Port Elizabeth, um die Brasilianer ins Halbfinale zu brüllen, und am Samstag im Stadion von Kapstadt, um die argentinische Voodoo-Puppe zu traktieren. Denn sie hätten uns die Puppe natürlich im Leben nicht geschenkt, wenn sie sich vor ihrer Abreise in Sao Paolo nicht mit so vielen Puppen eingedeckt hätten, dass der Vorrat in jedem Fall bis zum Finale reicht. In ihrem Gepäck gibt es auch eine niederländische und eine spanische Puppe.

Doch so sehr sich die beiden 29-Jährigen auch wünschen, dass die Deutschen die Argentinier schlagen – ein Wunsch ist noch größer. Nämlich der, dass das Finale am 11. Juli Brasilien gegen Argentinien lauten möge. Auch für dieses Spiel haben sie bereits Tickets. Es gebe weltweit wohl keine Rivalität, die noch größer sei, sagt Guilherme. Und er mag sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn es tatsächlich zu diesem Traumfinale kommen sollte.

„Jedes Mal, wenn ein Spiel von Brasilien übertragen wird, zum Beispiel in São Paulo, wo ich lebe… also, wir sahen das erste Spiel der Brasilianer gegen Nordkorea noch zuhause. Das Spiel begann um vier, jeder hat das Büro um zwei verlassen. Die meisten Firmen hatten ihren Mitarbeitern frei gegeben, und die Stadt war so voll, dass man sich kaum bewegen konnte. Der Verkehr brach zusammen, es wirkte, als sei ein Hurrikan im Anmarsch. Und als das Spiel losging, waren die Straßen leer. Ein WM-Finale zwischen Brasilien und Argentinien? Die Leute werden an Herzinfarkten sterben. Das ist, was wir wirklich erwarten.“

Deshalb haben sie ihre WM-Reise auch von hinten aufgezäumt. Erst, als sie auf der Fifa-Seite im Internet Karten fürs Finale ergattert hatten, beschlossen sie, nach Südafrika zu kommen. Die Diskussionen um die Sicherheit während der WM seien auch in Brasilien aufgekommen, erzählt Guilherme. Das hätte sie aber nicht davon abgehalten, ins Flugzeug zu steigen.

„Ich glaube, weil wir in Brasilien leben, sind wir diese Art von Nachrichten gewöhnt. Und mit Sicherheit wird es diese Diskussionen vor der WM in Brasilien auch geben. Wenn du dorthin reisen willst, werden dir die Leute erzählen: Sei vorsichtig, geh nicht hierhin, geh nicht dorthin. Aber wenn du mich fragst, werde ich antworten: Also, ich lebe hier. Ich hatte noch nie große Probleme. Man hat uns viel über Gewalt in Südafrika erzählt, vor allem in Johannesburg. Es hieß, Durban, Port Elizabeth und Kapstadt, wohin wir jetzt fahren, seinen sicherer. In Joburg waren wir etwas besorgt. Aber wir hatten keine Probleme. Es ist dasselbe, wenn du mir jetzt erzählen würdest, du willst 2014 nach Brasilien kommen: Sei vorsichtig, aber wahrscheinlich wird alles in Ordnung sein.“

Frey & Schächtele haben den genau umgekehrten Weg der Jungs aus Brasilien genommen: Wir sind in der heimeligen Atmosphäre von Kapstadt gestartet und sind jetzt zum Ende unserer Mission in Johannesburg angekommen. Doch bevor jetzt die ersten Leser Überlegungen anstrengen, uns hier rauszuholen: Seid unbesorgt. Erstens sind wir vorsichtig. Und zweitens haben wir ja jetzt eine Voodoo-Puppe.

PS: Der aktuelle Stand unserer Facebook-Gruppe: 380.

1. Juli 2010

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Das Herz von Durban from Frey und Schaechtele on Vimeo.

Und heute: Abfahrt. Wir verlassen Durban und machen uns auf den Weg nach Johannesburg. Vorher wollen wir aber noch die neue Folge unserer Ton-Bild-Reportagen über das Herz von Durban präsentieren. Elda und Edison, die beiden Maleria-Forscher, hatten versprochen, uns den Ort zu zeigen, der uns spüren lässt, dass Durban die erste afrikanische Stadt unserer Reise ist. Die überwiegende Mehrheit der Menschen hier gehört zur Volksgruppe der Zulu, und damit unterscheidet sich Durban etwa von Kapstadt sehr stark, das in seiner Bevölkerungszusammensetzung eher europäisch daherkommt. Daneben gibt es auch eine große indische Gemeinde, was man allein merkt, wenn man das Radio anmacht. Auf Lotus FM war dies am vergangenen Samstag die Nummer eins der “Bollywood-Billboards”:

Jetzt aber zu unserer Reise ins Herz von Durban. Wenn man es genau nimmt, war es eher ein Kurztripp. Wir waren dort nicht überall willkommen, so dass wir die neue Folge unserer Ton-Bild-Reportagen unter erschwerten Bedingungen produzieren mussten. Nicht etwa, weil wir mit Kamera und Mikrofon wie Touristen aussahen. Sondern vielmehr, weil sich dort bislang so wenige echte Touristen haben blicken lassen. Doch: Seht selbst.

30. Juni 2010

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Jetzt, da die WM in eine zweitägige Pause geht, nutzen wir die Zeit und berufen mal eben eine virtuelle Konferenz mit unseren Lesern ein, von denen sich inzwischen 341 in unserer Facebook-Gruppe eingefunden haben (herzlich willkommen, macht´s Euch gemütlich). Es gibt einiges zu besprechen bzw. zu planen. Auf der Tagesordnung stehen drei Punkte.

Erstens: Unser Kollege Stefan Niggemeier hat in seinem Blog einen Beitrag über uns veröffentlicht, der uns zum einen sehr gefreut hat und zum anderen eine Diskussion über das Wintermärchen-Blog und seinen Zugang zu dieser WM losgetreten hat. Wer sich dafür interessiert: hier entlang, bitte. Außerdem wollen wir Ihnen die WM-Ecke von MAGDA ans Herz legen.

Zweitens: Wir haben uns auf Anregung einiger Leser nun doch entschieden, eine Kontonummer zu veröffentlichen für diejenigen, die unsere Mission unterstützen wollen.

Drittens: Wir bleiben noch bis Donnerstag in Durban und machen uns dann auf den Weg nach Johannesburg. Die Zeit bis zum Finale werden wir nutzen, um unsere Mission zu einem würdigen Abschluss zu führen, unter anderem mit weiteren Ton-Bild-Reportagen. Dafür gibt es bereits ein paar Ideen.

Zum Beispiel die, am Freitag nach Erasmia zu fahren, in den Ort, in dem das deutsche Team sein Lager aufgeschlagen hat, und in dessen Abwesenheit die Menschen zu fragen, wie es denn so ist, die Deutschen und die WM zu Gast zu haben.

Und die, ins etwa 350 Kilometer entfernte Nelspruit zu reisen, um sich mit den Menschen zu unterhalten, für die die WM bereits jetzt Geschichte ist. Das Stadion von Nelspruit ist mutmaßlich das, mit dem die Südafrikaner nach diesem Turnier am wenigsten anzufangen wissen werden.

Und die, Menschen in Soweto zu besuchen, die für die WM ihr Haus in ein Guest House verwandelt haben, um sie zu fragen, ob sich erfüllt hat, was sie sich von dieser WM versprochen haben.

Und, und, und.

Die Frage aber ist: Was interessiert Euch in den noch verbleibenden eineinhalb Wochen unserer Misson am meisten? Wir machen dieses Blog zwar, um die Geschichten zu erzählen, die wir von dieser WM selbst am liebsten gelesen, gehört und gesehen hätten, wenn wir in Deutschland geblieben wären. Sind wir aber nicht. Deshalb sei die Konferenz hiermit eröffnet.

29. Juni 2010

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Erinnert sich jemand an Uli Hoeneß? Es war bei einer Ehrung im Münchner Rathaus im Januar, als der Präsident des FC Bayern München sagte, dass es eine der größten Fehlentscheidungen der Fifa gewesen sei, die WM nach Südafrika zu vergeben. Es habe aber keinen Sinn mehr, darüber zu lamentieren. „Man muss versuchen, das Beste daraus zu machen.“ Er werde selbstverständlich nicht nach Südafrika reisen. Hoeneß hat seine Ankündigung wahr gemacht. Doch so beliebt sein Verein bei vielen Südafrikanern auch sein mag: Ihn vermisst hier niemand. Ganz besonders nicht Elda Mohapi.

Elda ist eine Kollegin von Edison, auch sie arbeitet im Malaria-Forschungsprogramm, sie hat sich auf Moskitos spezialisiert. Im Erdgeschoss des Instituts gibt es eine Art Säuglingsstation, in der die Insekten gezüchtet werden, damit Elda und ihre Kollegen die Verbreitungswege von Malaria besser verstehen können. Im Norden richtet sie noch immer großen Schaden an, Infizierte sterben innerhalb einer Woche. Es sei ihr Ziel, die Malaria irgendwann in ganz Südafrika auszurotten, sagt sie. Die 36-Jährige kann lang und unterhaltsam über ihr Fachgebiet sprechen, Unterbrechungen duldet sie nur von sich selbst, wenn sie lachen muss. Und das passiert oft. Wenn sie allerdings auf die WM zu sprechen kommt, weicht die Herzlichkeit schnell aus ihrem Gesicht. Schuld daran sind Männer wie Ulli Hoeneß.

„Wir waren ziemlich geschockt, als wir die Meldungen darüber gehört haben, dass die Leute nicht glauben, dass wir diese WM ausrichten können. Aber es gibt eine besondere südafrikanische Haltung: Südafrikaner sind sehr optimistisch. Du kannst es dir nicht erlauben, kein Optimist zu sein, wenn du einen Anführer hast wie Nelson Mandela. Jeder hier ist optimistisch. Wir glauben, dass wir alles schaffen, was wir uns vornehmen. Also haben wir einfach weitergemacht. Und dann hatten wir die WM. Jeder Südafrikaner ist stolz, wir haben der Welt gezeigt, dass wir Wettbewerbe von dieser Größe ausrichten können. Wir haben hier jede Menge fähiger Leute, wir haben eine Menge optimistischer Menschen im ganzen Land, die glücklich sind und heiter. Und wir werden diese WM bis zum Ende feiern, denn für uns war das die Nummer-Eins-Herausforderung: Gastgeber einer erfolgreichen WM zu sein.“

Elda gehört zu einer Generation, auf deren Schultern die Zukunft dieses Landes liegt, so pathetisch das auch klingt. Als Nelson Mandela zum Präsidenten Südafrikas gewählt wurde, war sie 20 Jahre alt. Sie hat studiert und ihre Heimatstadt Polokwane verlassen, um Wissenschaftlerin zu werden. Damit ist sie Teil des intellektuellen Rückgrats Südafrikas. Es wird in den kommenden Jahren auf Menschen wie sie ankommen, aus dem Geist, den die WM erzeugt hat, etwas zu erschaffen, von dem nicht nur Südafrika profitieren wird, sondern der ganze Kontinent. Südafrika sei es gelungen, die Wahrnehmung von Afrika zu verändern, sagt sie. Und jetzt gelte es, diesen Schwung mit in die Herausforderungen der kommenden Jahre zu nehmen.

„Die Demokratie des Südafrika, wie wir es heute kennen, steckt jetzt in der Pubertät, sie ist 16 Jahre alt. Und wir wissen, wie Teenager sind: Sie sind rebellisch, verhalten sich nicht konform und vorhersehbar. Unser Land geht jetzt durch eine Phase, in der es versucht, sich in der Freiheit wiederzufinden, die die Demokratie mit sich bringt. Deren Prinzipien sind jetzt installiert. Und unsere größte Herausforderung ist, diesen Prozess fortzusetzen. Denn wenn Südafrika das hinbekommt, wird der Rest des Kontinents folgen. Die Zukunft dieses Kontinents hängt an Südafrika. Wir müssen es schaffen, damit Afrika überleben wird.“

Elda ist eine ehrgeizige und stolze Frau, sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihren Teil dazu beitragen wird, dass Südafrika zum Role-Model für den ganzen Kontinent werden kann. Doch es gehört auch zur Realität des Südafrika im Jahr 2010, dass sie für ihre Art zu leben, zu denken und zu arbeiten, auf einem anderen Gebiet die Quittung bekommt. Männer, erzählt sie, wollten keine Frau, die emanzipiert ist und für einen Job die Stadt wechselt. „Sie wollen Frauen, die zuhause bleiben und sich um den Haushalt kümmern, und es gibt nur wenige, die cool genug sind, die traditionellen Rollenmuster über Bord zu werfen.“ Elda hat von den Transformationsprozessen, die das Land bereits durchlaufen hat, genauso profitiert wie sie darunter zu leiden hat: Sie hat eine Karriere gemacht, die während der Apartheid nicht möglich gewesen wäre, zahlt dafür aber den Preis, dass sie keinen Mann findet, der sich auf eine so unabhängige Frau einlassen will.

Weil Elda möglichst vielen Menschen in Deutschland zeigen will, wie weit Südafrika auf seinem Weg schon gekommen ist, haben sie und Edison versprochen, uns auf eine Stadttour durch Durban mitzunehmen, die wir ausführlich dokumentieren werden. Für heute müssen deshalb ein paar Impressionen von einem Tag genügen, der uns weit weniger in Orange gewandete Fans bescherte, als wir erwartet hatten, dafür aber deutlich mehr Wind, als das Fanfest direkt am Meer vertragen konnte. Die Beachfront war deshalb während des Achtelfinales Niederlande gegen Slowakei leergeweht und der Vergnügungspark nebenan blinkte so tapfer wie vergeblich vor sich hin. Ist halt Winter.

PS: In unserer Facebook-Gruppe haben wir inzwischen mit einem kleinen Tusch das 300. Mitglied willkommen geheißen.

28. Juni 2010

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Durban – Berlin – Port St. Johns – Durban: Bis es soweit war, dass wir das Achtelfinale Deutschland gegen England gemeinsam mit Edison Mavundza sahen, musste eine etwas mehr als ein MB große Datei erst von Afrika nach Europa und wieder zurück reisen. Edison hatte eine Email unter anderem an Lorenz Schröter geschickt, einen befreundeten Journalisten aus Berlin, in deren Anhang eine Power-Point-Datei steckte mit dem Titel „It does not matter that we did not qualify“. Es ist der Auftrag an die Südafrikaner, die WM trotz des Ausscheidens der eigenen Mannschaft genauso leidenschaftlich zu begleiten, wie sie das während der Gruppenphase getan hatten. Und zwar so:

„choose another country to support
paint your face for that team
fill the fan parks
help a tourist
say hello to new people
fly the flags even higher“

Lorenz reichte diese Email an uns weiter, und als wir Edison am Wochenende anriefen und fragten, ob er denn Lust habe, uns eine Zeit lang an seiner WM teilhaben zu lassen, überlegte er keine Sekunde und sagte: “Klar, ruft an, wenn ihr hier seid.” Und so trafen wir ihn heute, um gemeinsam mit ihm das Deutschlandspiel zu sehen.

Durban, so sagte man uns, werde die erste wirklich afrikanische Stadt auf unserer Reise sein. Kapstadt sei viel zu europäisch, all die anderen Städte, die bislang auf unserer Route lagen, viel zu klein. In Durban aber würden wir zum ersten Mal erleben, dass diese WM tatsächlich in Afrika stattfindet. So gesehen war der Auftakt ein Reinfall: Es hat den ganzen Tag über geregnet, die Menschen verkrochen sich zuhause oder unter Regenschirmen, die Plakate neben den Palmen, auf denen „The warmest place to be in 2010“ stand, wirkten in etwa so plausibel wie der Nike-Werbespot, in dem Wayne Rooney den Ritterschlag von Queen Elizabeth erhält. Nebenbei bemerkt: Der Nutella-Fluch ist inzwischen offenbar vom Nike-Fluch abgelöst worden. Früher galt die Regel: Wer für Brotaufstrich wirbt, ist früher oder später fußballerisch erledigt. Man schaue sich jetzt mal aufmerksam den aktuellen Nike-Film an: Drogba? Raus. Cannavaro? Raus. Ribéry? Raus. Rooney? raus. Ronaldo ist auch bald an der Reihe. Und ist es außerdem nicht schön, dass mit Capello auch der letzte Italiener das Turnier geräumt hat? Doch wir schweifen ab. Wo waren wir stehen geblieben? Richtig: bei Edison.

Edison stammt aus Pretoria, er spricht Tsonga, eine der elf Landessprachen. Wenn er sich in seiner Erstsprache vorstellt, klingt das so:

Nach Durban kam er, um als Wissenschaftler in einem Malaria-Forschungsprogramm mitzuarbeiten. Seine Biographie ist exemplarisch für viele Schwarze, wenn auch noch viel zu wenige in diesem Land: Er ist 28 Jahre alt, die Rigidität der Apartheid kennt er vor allem aus den Geschichten der Älteren, die davon erzählen, dass Schwarze nicht auf denselben Parkbänken sitzen durften wie Weiße und Schwarze nicht dieselben Chancen hatten wie Weiße, etwas aus ihrem Leben zu machen. Edions Eltern gehören noch einer Generation an, die die Schule ohne vernünftigen Abschluss verlassen haben. Weil es ihr Sohn später besser haben sollte, schickten sie ihn zur Universität. Seine Arbeit als Wissenschafter bedeutet ihm viel, seine Leidenschaft aber gehört dem Fußball. Doch die allein war nicht der Grund dafür, dass es ihm eine Selbstverständlichkeit war, den Nachmittag mit uns zu verbringen. Sondern: Ubuntu.

„Es gibt etwas in Afrika, das wir Ubuntu nennen, vor allem in Südafrika. Es bedeutet: sich um andere kümmern. Es heißt Menschlichkeit. Egal, wohin man in Südafrika geht: Man trifft dort auf Ubuntu. So wie jetzt: Ihr kamt nach Südafrika und habt mich gefragt, ob ich euch ein bisschen herumführen kann. Also habe ich Ubuntu gezeigt. Menschen in Afrika sind sehr herzlich. Ihr habt es in anderen Städten ja auch erlebt: Die Leute haben euch gefragt, ob ihr etwas essen wollt, ob es euch gut geht. Es gibt kein Haus, das ihr besucht, in dem euch nichts zu essen angeboten wird. Das ist der Punkt. Es wäre eine Beleidigung für Menschen in Afrika, wenn man sie besucht und dort nichts bekommt. Man muss einfach etwas bekommen.“

Edison ist ein passionierter Fußballfan. Er ist Anhänger der Orlando Pirates aus Johannesburg, deren Trikot er auf dem Bild oben einen Spalt breit zur Schau stellt. Er kennt sich aber auch genauso gut im deutschen wie im englischen Fußball aus. Nach dem Ausscheiden der Südafrikaner gehören seine Sympathien zwar den Ghanaern, aber weil er guten Fußball liebt, quittierte er den furiosen Sieg der Deutschen mit einem anerkennenden Nicken. Sie hätten die Engländer gegen die Wand gespielt und keiner sei, fast noch wichtiger, nur auf den eigenen Glanz bedacht gewesen. Und er wünsche uns, dass Deutschland im Viertelfinale genauso auftreten wird. Was denn nun mit den Südafrikanern sei, fragten wir ihn zum Abschied.

„Ihr müsst euch nur umschauen. Die Leute tragen immer noch Südafrikaflaggen mit sich herum und Bafana Bafana-Shirts, obwohl wir draußen sind. Keiner jammert. Oder habt ihr jemanden erlebt, der sich über die Spieler beschwert hätte? Nein, sie feiern, dass wir die Gastgeber unserer Besucher sind.“

Und es stimmt: Auch wir haben noch niemanden getroffen, der es schon immer gewusst hat, dass die Südafrikaner nichts reißen würden, niemand hat darüber geschimpft, dass die Südafrikaner als der erste WM-Gastgeber in die Geschichte eingehen werden, der die Gruppenphase nicht überstanden hat. Südafrika zeigt Ubuntu. Heute nachmittag wird die Gastfreundschaft zumindest der Durbaner allerdings auf eine harte Probe gestellt: Dann fallen die Niederländer über die Stadt herein.

27. Juni 2010

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Nächster Halt: Durban. Wir haben die Idylle von Port St. Johns verlassen, was uns insofern leicht fiel, als übers Wochenende ein Haufen Motorradfahrer mit historisch schlechtem Musikgeschmack über das Nest hereingefallen ist, der das Tal die ganze Nacht über mit dumpfem Provinztechno und am Tag mit Motorradgeheul und durchdrehenden Reifen traktiert hat. Durban liegt etwa fünf Autostunden weiter nördlich. Dass wir wieder zurück sind in WM-Land, merkt man allein daran, dass die Backpacker für eine Nacht so viel Geld verlangen wie sonst für vier, und daran, dass hier norwegische WM-Touristen zu Gast sind, die, wenn sie in eine Vuvuzela blasen, klingen wie an Tuberkulose erkrankte Elefanten. Am Schwarzen Brett werden Tickets fürs Finale gehandelt, aktueller Kurs: 16 000 Rand, etwa 1700 Euro. Und heute morgen ist hier Wesley Sneijder um die Ecke gehuscht, der seine Mannschaft am Montag im Stadion von Durban ins Viertelfinale gegen die Slowakei führen möchte. Es könnte aber auch nur ein gewöhnlicher Tourist gewesen sein, der verzweifelt versucht hat, noch ein Zimmer zu finden. Durban ist ausgebucht. Auch wir sitzen bislang noch auf dem Trockenen bzw. im Nassen: Es regnet und für die kommenden Nächte haben wir noch keine Unterkunft.

Bevor wir aber in die auch für die Deutschen entscheidende Phase dieses Turniers gehen, noch ein paar letzte Eindrücke aus dem Vorhof des Paradieses in Port St. Johns. Erstens: Die Niederlande, sagte der Südafrikaner Jim am Lagerfeuer, werden Weltmeister. Südafrika wurde dereinst von Seefahrern aus Holland gegründet, deren erster Jan van Riebeeck war. Afrikaans, eine der elf Landessprachen, verhält sich zum Niederländischen deshalb wie das Österreichische zum Deutschen. Jan van Riebeeck – Bert van Marwijk: Jim ist überzeugt, dass diese spirituelle Verbindung die Niederländer zum WM-Triumph führen wird. Vom spirituellen Verhängnis der Holländer, in den entscheidenden Momenten stets zu verlieren, haben wir ihm nichts erzählt, wir wollten die heimelige Atmosphäre am Feuer nicht zerstören. Und zweitens, wo wir gerade beim Österreichischen sind: In Port St. Johns haben wir auch Familie Weston aus Durban kennengelernt. Die gebürtige Grazerin Marion und Russell, ein Stamm von Mann aus Kapstadt, die Eltern; Lyla, Rugari und Singita deren Töchter. Die Westons haben uns eine so kitschige, pathetische und unglaubwürdige Geschichte erzählt, dass wir keinen Zweifel gehabt hätten, dass sie von vorn bis hinten erlogen gewesen wäre, wenn die Konsequenzen aus dieser Geschichte nicht vor uns gesessen wären. Und weil wir uns mit unserem Blog auch die Aufgabe gesetzt haben, unsere Leser glücklicher zu machen, folgt jetzt eine hinreißende Liebesgeschichte, obwohl sie nichts mit der WM zu tun hat. Aber auch im Fußball steckt ja jede Menge Leidenschaft.

Seit vielen Jahren betreibt Russell seine eigene Safarifirma, er organisiert Touren im Krügerpark und Wanderungen an der Wild Coast. Irgendwann reiste er auch nach Europa, um Marketing für sich zu betreiben, unter anderem nach Wien. Dass er in seinem Leben noch eine Frau finden würde, die sich mit ihm, dem Eigenbrötler aus einem kleinen Haus an einem Strand in der Nähe Kapstadts, einlassen würde – diese Hoffnung hatte er schon aufgegeben. Und dann lief ihm auf dem Wiener Rathausplatz bei einem Klassik-Open-Air-Konzert Marion über den Weg. Russell wusste sofort: Dies ist die Frau meiner Träume. Überfordert von diesem Moment ließ er sie jedoch davonziehen, ohne sie über seine Erkenntnis informiert zu haben. Am nächsten Abend, es war das nächste Open-Air-Konzert auf dem Rathausplatz angesetzt, legte sich Russell auf die Lauer, so wie es sich für jemanden gehört, der weiß, dass auch Tiere im Dschungel früher oder später immer an dieselbe Wasserstelle zurückkehren. Tatsächlich erschien Marion abermals. Doch Russell verpasste auch beim zweiten Mal die Chance, das Glück in seine mächtigen Pranken zu nehmen. Am nächsten Morgen schrieb er eine Postkarte an ein befreundetes Paar aus Kapstadt: „Ich habe die Frau meiner Träume gesehen. Mir geht´s gut. Russell.“

Allein kehrte er zurück nach Südafrika. Würde er eben der Eigenbrötler bleiben, jetzt aber immerhin mit dem Bewusstsein, dass die Frau existierte, die diesen Zustand würde beenden können, wenn auch tausende von Kilometern entfernt. Viele Monate später lernte er einen Österreicher kennen, einen Arzt namens Stefan, der nach Südafrika gekommen war, um für einige Zeit in einem Kapstädter Krankenhaus zu arbeiten. Die beiden freundeten sich an, sie unternahmen zusammen Wanderungen und tranken Bier. Irgendwann sagte Stefan: „Russell, meine Schwester kommt mich für drei Wochen besuchen. In meinem Krankenhaus-Apartment ist nicht genug Platz für uns zwei, kann sie nicht bei dir übernachten?“ Ja, dachte sich Russell, soll sie eben kommen. Dann holte Stefan seine Schwester vom Flughafen ab, brachte sie zu dem Mann, der ihm in den Wochen davor zu einem guten Freund geworden war, und als Marion durch Russells Tür trat, war ihm, als hätte er das Trommeln eines ganzen Dschungels im Ohr. Die Frau, die ein halbes Jahr vorher an ihm vorbei geschwebt war, die Frau, von der er seinen Freunden geschrieben hatte, er habe sie gesehen, die Eine, mit der er sein Leben verbringen wolle, stand plötzlich vor ihm. Marion hatte ihrerseits das feste Gefühl, zu Hause angekommen zu sein, ohne davor geahnt zu haben, dass es dieses Zuhause überhaupt gibt.

Acht Monate später wickelte sie ihr Leben in Österreich ab und zog zu ihm, seit vierzehn Jahren sind sie ein Paar und inzwischen eine fünfköpfige Familie. Auf dem Bild oben ist außerdem der Sohn der Familie zu sehen, der Russell die Postkarte geschrieben hatte. Nur ein Detail trübt noch ihr Glück: Sie hätten die Postkarte gern zurück. Doch die Freunde weigern sich, sie herauszurücken. Wahrscheinlich, weil sie ein so überwältigendes Symbol dafür ist, dass sich die Liebe ihren Weg selbst bahnt, wenn man sie lässt. Wie töricht wäre es da, sie leichtfertig aus der Hand zu geben.

Und damit: zurück zur WM.

Update, 12.40 Uhr: Gerade noch rechtzeitig, um zum Deutschandspiel vor einer Leinwand im Regen zu sehen, haben wir ein Zimmer gefunden, mit obligatorischem WM-Aufschlag, dafür aber mit Frühstück. Ob es sogar für ein Frühstücksei reicht? Und weil wir immer wieder gefragt werden, ob man unsere Reise nicht auch unterstützen kann, wenn man nicht per Paypal überweisen möchte: aber sicher. Weil wir aber ungern unsere Kontodaten ins Netz stellen: Wer an uns direkt überweisen möchte, schreibe an SCHAECHTELE – das runde Ding mit dem kleinen a in der Mitte – ME – Punkt – COM. Und wir antworten prompt mit der Kontoverbindung.

26. Juni 2010

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Es ist Freitag nachmittag, 25. Juni, zehn nach halbvier. Es schreibt: Schächtele, der auf der Terrasse unserer Unterkunft in Port St. Johns sitzt, einem kleinen Nest etwa dreihundert Kilometer südlich von Durban. Frey treibt sich gerade auf einem Felsen am Indischen Ozean herum, er ist von hier aus nur als Silhouette am Horizont zu erkennen. Den Ort, an dem ich im Moment sitze, muss man sich vorstellen wie den Hochsitz über dem Paradies: Linkerhand zieht sich eine moosgrüne Bergkette bis zum Meer, direkt um mich herum ragen Palmwedel ins Bild, aus der Ferne dringt das Rauschen der Wellen zu mir nach oben und etwa zwei Finger breit vor Freys Felsen mümmelt eine Kuhherde auf dem warmen Strandsand herum. Wenn das nicht ideale Voraussetzungen sind für eine Halbzeitbilanz.

Heute vor drei Wochen sind wir in Kapstadt gelandet. Wir haben seitdem Menschen kennengelernt, die sich vergeblich eine kühle Winternacht um die Ohren geschlagen haben, um an Tickets für die Spiele zu kommen, wir standen während des Eröffnungsspiel neben Menschen, die nach dem zauberhaften Tor von Tshabalala zu weinen begonnen haben, wir haben Menschen im Township besucht und uns unsererseits von ihrer Freundlichkeit und Gastfreundschaft verzaubern lassen. Wir haben auf unserer Reise bislang genau 1263 Kilometer zurückgelegt, das sind bei den hiesigen Straßenverhältnissen 19 Stunden und fünf Minuten. Wir wissen das deshalb so genau, weil uns Katrin und Kurt, ein befreundetes Paar aus Kapstadt, ihr Navigationsgerät überlassen haben, ohne das wir in der Ödnis zwischen Kapstadt und hier oft ganz schön alt ausgesehen hätten. Und jetzt also Port St. Johns, ein kleines Städtchen direkt am Meer, in dessen unzähligen Hügeln sich bunte Hütten zwischen Palmen verstecken und in dem neben den Einheimischen, nahezu alle schwarz, Aussteiger wohnen, so gut wie alle weiß. Die riechen zum Teil so sehr nach Marihuana, dass man glauben könnte, sie hätten ihre Grasplantagen direkt in ihren zauseligen Vollbärten angelegt. Nach dem Deutschlandspiel am Mittwoch haben wir aber auch die entzückende Hellen kennen gelernt, eine Schottin von 68 Jahren, deren Sohn vor ein paar Jahren hierher zog, um als Lehrer zu arbeiten, gefolgt von ihrer Tochter, die mit einem Xhosa-Mann ein Kind zur Welt gebracht hat. Im vergangenen November reiste Hellen dann zurück nach Schottland, verkaufte ihr ganzes Leben und zog nach Südafrika. Das rauchige Lachen, das genauso nach schottischem Hochland wie nach erdigem Whiskey klingt, wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.

Als wir Deutschland verließen, lautete das Ziel unserer Mission, Menschen zu treffen, die uns einen Einblick in den Charakter dieses Landes gewähren, die Fußball-WM ist gewissermaßen der Zugangscode. Wir haben uns mit Einheimischen darüber unterhalten und mit denjenigen, die auf Besuch hierher gekommen sind. Vereinzelt waren auch WM-Touristen darunter, sogar Deutsche. Am Vorabend des zweiten Gruppenspiels waren wir zum Beispiel auf eine Gruppe gestoßen, die gewissermaßen auf WM-Safari war: Deutschland-Australien, Krüger-Park, Garden Route, Deutschland-Serbien, Johannesburg, Deutschland-Ghana, heim. Nein, sagte uns einer, er habe sich zu keiner Sekunde unsicher gefühlt, nur unorganisiert. Bei der WM 2006 seien die Stadionbesuche ein bisschen straffer gelaufen. Um seinen Teil zum Gelingen der Safari beizutragen, hatte er extra seine schwarz-rot-goldene Boxershort im Gepäck, die habe auch vor vier Jahren schon Glück gebracht. Es müsste mal jemand Joachim Löw Bescheid sagen, dass seine Jungs im Achtelfinale ohne die Unterstützung von unten auskommen müssen: Die Boxershort ist samt Reisegruppe nach dem dritten Vorrundenspiel abgereist.

Ja, es sind WM-Touristen im Land. Im Jungle Monkey zum Beispiel, einem Backpacker hier in Port St. Johns, saß während des Deutschland-Ghana-Spiels eine Familie aus Kolumbien neben uns, in Kapstadt haben wir Fans aus Italien gesehen und im Fernsehen Deutsche, die in Port Elizabeth noch neben uns im Stadion gesessen hatten und in Johannesburg den Sieg über Ghana bejubelten. Fährt man allerdings über Land von einem Ort zum anderen, sieht man keinen einzigen von ihnen. Die WM findet nur in den Großstädten statt, die Fans fliegen lieber. Weil wir uns dagegen vorgenommen haben, uns jeden Kilometer dieser Reise zu erarbeiten, kommen wir in den Genuss von LKW-Fahrern, die zu halsbrecherischen Überholmanövern ansetzen, und von blutigen Kühen, die am Straßenrand liegen und solche Manöver nicht überlebt haben. Wenigstens haben wir so genug Zeit, auch literarisch voranzukommen: Während unserer stundenlangen Überfahrten sitzt der eine am Steuer und der andere liest vor, im Moment aus „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch. Da sage noch einer, so eine Fußball-WM sei nichts für den Kopf.

Und wie wird die zweite Halbzeit unserer Reise aussehen? Am Wochenende machen wir uns erstmal auf den Weg nach Durban, um herauszufinden, wie die Südafrikaner nach dem Ausscheiden ihrer Mannschaft mit dieser WM umgehen. Im Moment wird eine herrlich pathetische Diashow per Email durchs Netz geschickt, deren Botschaft lautet: „It does not matter we did not qualify. What matters is: Our team inspired us all. What started as a game, is becoming something more. Let´s not stop now. We have opened our hearts to each other, now let´s open them to the world.“ Es ist der Aufruf, jetzt eben eine andere Mannschaft zu unterstützen als die südafrikanische. Mal sehen, für wen sich die Südafrikaner mehrheitlich entscheiden werden. Nur eines ist sicher: Es wird nicht die serbische sein. Als wir nach der Niederlage gegen Serbien vor dem Stadion herumstanden, hörten wir einen serbischen Fan noch rufen: „Deutschland, du hast eine haarige Fotze.“ So bleibt am Ende dieser Bilanz nur noch eine Frage: Und, Gruppenletzter, was hast du?

25. Juni 2010

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Donnerstag nachmittag, gegen 15 Uhr: Wir schalten um ins Stadion von Port St. Johns, einem kleinen Aussteigernest an der Wild Coast, etwa 300 Kilometer südlich von Durban. Auch dort gibt es Public Viewing, nur ohne Public. Auf dem Gelände verlieren sich etwa 30 Polizisten und genauso viele Helfer, aber kein einziger Besucher. So verpassen die Menschen aus Port St. Johns, wie Ernst Middendorp vor Beginn des Spiels Italien gegen Slowakei über die Probleme vermeintlich großer Teams in der Gruppenphase spricht. Wi kän tell ju: Its samsing rili speschal.

Und so erlebte der Rest von Port St. Johns das Spiel.

Drei Stunden später: Wir blenden uns ein in die Radiokonferenz, es spricht der uns bereits bekannte Kommentator, dem wir ja bereits den Ehrentitel „Edi Finger Südafrikas“ zuerkannt haben und von dem wir inzwischen immerhin wissen, dass er Brian heißt.


In diesem Sinne: Ciao, Bella!

PS: Und der aktuelle Stand unseres Unterstützer-Kontos: 841, 57 Euro. Vielen Dank an alle, die bislang überwiesen haben. Und wer uns seinen Beitrag überweisen möchte: Ganz oben findet Ihr den Unterstützer-Button.

24. Juni 2010

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Als wir uns vor drei Wochen auf den Weg nach Südafrika gemacht haben, hatten wir die Frage im Gepäck: Würde dieses Land in den vor uns liegenden Wochen ein Wintermärchen erleben, so wie Deutschland vier Jahre zuvor sein Sommermärchen hatte? Diese Frage ist seit Dienstag abend so gut wie beantwortet: nein, leider nicht. Zu einem Sommermärchen hatte die WM 2006 ja nicht werden können, weil vier Wochen lang die Sonne schien und auf manche Autos mehr Fahnen montiert waren als Reifen. Ein Sommermärchen war es von dem Moment an geworden, als Oliver Neuville in der Partie gegen Polen kurz vor Schluss den Ball ins Netz schob, es war das zweite Gruppenspiel. Erst dadurch waren die Deutschen zu dem fröhlichen Volk geworden, das am Ende stolz darauf war, sich der Welt ganz anders präsentiert zu haben, als die Welt das vermutet hatte: mit einem Lächeln im Gesicht, mit Leidenschaft und Optimismus.

Ein solcher Moment ist den Südafrikanern leider verwehrt geblieben. Doch was machen die Südafrikaner? Sie lächeln einfach weiter. Und weiß Gott, nachdem deren Nationalmannschaft das zweite Tor gegen die Franzosen erzielt hatte, war der Lärm in der Bar, in der wir das Spiel sahen, so laut, dass er auch hundert Vuvuzelas verschluckt hätte – wenn die dort nicht verboten gewesen wären. In einer Bar wie dem Joburg in Kapstadt, wo wir das Auftaktspiel verfolgt hatten, wäre ein Vuvuzela-Verbot in etwa so sinnvoll gewesen wie der Versuch, den Bierkonsum zu unterbinden. Wir saßen aber im überdachten Außenbereich einer Rugby-Kneipe in East-London, direkt am Meer, und dort ist die Vuvuzela so beliebt wie ein American Football-Fan. Die überwiegende Mehrheit des Publikums war weiß, nur vereinzelt hatten sich ein paar Schwarze darunter gemischt. East-London ist eine Kleinstadt im Südosten des Landes, und dass die Rassen hier noch lange nicht zusammen gewachsen sind, sieht man allein daran, dass Schwarze durch die Gitter eines sich abschottenden Wohnviertels Reklame in die Briefkästen stecken, die dahinter aufgebaut sind. Über Südafrika hängt die Angst vor Einbrüchen und Überfällen wie eine schwere Wolke, die sich mal leer regnen müsste. Doch sie ist in den vergangenen Jahren nur noch größer geworden.

Immerhin: Dass im Boocaneer´s fast nur Weiße saßen, kann man als Zeichen dafür werten, dass an diesem Nachmittag dann doch die ganze Nation hinter der Mannschaft stand. Einer davon war Gordon Rogers, ein stämmiger Mann, der das ganze Spiel über heimischen Rotwein trank und Zigarillos rauchte. Rogers ist Südafrikaner, durch und durch, obwohl seine Eltern aus Schottland stammen. Es ist wohl auf seine europäischen Wurzeln zurückzuführen, dass er sich vor einer Leinwand, auf der ein Fußballspiel läuft, genauso verausgabt wie vor einer, auf der Rugby übertragen wird. Man höre sich nur seine Stimme nach dem Spiel an:

“Ich finde, das Wichtigste ist: Es spielt keine Rolle, welchen Sport wir uns ansehen. Ob es Fußball ist… Ich bin ein typischer Südafrikaner. Ich liebe Rugby. Rugby ist kein Sport in Südafrika, es ist beinahe eine Religion. Aber es spielt keine Rolle, ob es Beach-Volleyball ist, Hockey oder Tennis: Wir sind alle Südafrikaner. Und wir müssen alle hinter unserer Nationalmannschaft stehen, unabhängig vom sportlichen Kodex. Und wir tun das.

Rogers ist Patriot, auch wenn er erst Südafrikaner in der ersten Generation ist. Oder vielleicht gerade deshalb. Er trägt nicht den Ballast mit sich herum, der noch immer schwer auf diesem Land liegt. Egal, mit wem man in diesen Tagen spricht, die Folgen der Apartheid kommen früher oder später immer zur Sprache. Rogers dagegen hat das Wort in unserem Gespräch kein einziges Mal erwähnt. Der 50-Jährige betreibt eine Baufirma, mit der er im Auftrag der Regierung Häuser bat, die meisten im Rahmen von Sozialbau-Programmen. Rogers war schlau genug, seine Firma schon mehrere Jahre vor dem Wandel auf das Ende der Apartheid vorzubereiten. Rogers ist nicht nur patriotisch, er ist genauso pragmatisch.

Auch er war nach dem Spiel enttäuscht über den Ausgang des Spiels. Das südafrikanische Wintermärchen kam leider nicht über den Prolog hinaus, nach nur drei Spielen ist die WM für Bafana Bafana vorbei. Am nächsten Tag schrieben die Zeitungen trotzdem: Danke, Jungs, dafür, dass ihr uns stolz gemacht habt! Die Südafrikaner haben einen ganz eigenen Umgang mit solchen Momenten etabliert: Sie suchen stets im Schlechten das Gute. Und so stellten wir auch Gordon die Frage: Was wird von dieser WM übrig bleiben, wenn die Welt nicht mehr nach Südafrika blickt?

“Das wird sehr interessant werden: Ich weiß nicht, wie sich all die Investitionen, die in diese WM gesteckt wurden, in der Zukunft rechnen werden. Erinnerungen kann man nicht kaufen und man kann sie auch nicht beziffern. Und es gibt vieles in diesem Land, worin das Geld sicher sinnvoller investiert worden wäre. Aber von diesem Ereignis ging eine ungeheuer vereinigende Energie aus. Und es wird ein Potential für die Zukunft bleiben, das wir hoffentlich voll ausschöpfen können. Auch, weil wir uns der ganzen Welt präsentieren können: Touristen kommen in unser Land und erzählen ihren Freunden davon. Wir sind einfach das schönste Land der Welt. Und hoffentlich kommen nach der WM viele Leute zu uns und bringen Euro, Pfund und Dollar mit. Und sie werden sehen: Es steckt nicht hinter jeder Ecke ein Löwe, in Soweto gibt es keinen Krieg. Südafrika ist das zauberhafteste Land, mit allem, was Gott hervorgebracht hat. Und die wundervollsten Menschen.”

Zum Schluss fragten wir Gordon noch, ob es noch irgendetwas zu sagen gebe. Ja, antwortete er.

Hat ja geholfen.

22. Juni 2010

4 Kommentare

Facebook sei Dank – ein Ausflug zur WM from Frey und Schaechtele on Vimeo.

Anlässlich des ersten K.O.-Spiels der Deutschen am Mittwoch abend nochmal ein sentimentaler Rückblick auf das Spiel am Freitag gegen Serbien, das unter anderem etwa 40 Kinder aus dem Township Walmer in Port Elizabeth besuchten. Der Besuch ging zurück auf eine spontane Idee der Mitarbeiter des Vereins Masifunde: Wenn die WM schon so weit weg von Deutschland stattfindet, dann können die Deutschen doch Kindern in Walmer die Tickets spendieren. Also schrieben die Mitarbeiter von Masifunde ihre Freunde und Familien an – innerhalb von zehn Stunden hatten sie 190 Tickets beisammen, unter anderem für das Spiel Deutschland gegen Serbien. Es konnte ja keiner ahnen, dass ausgerechnet in dieser Partie alles schief ging, was schiefgehen konnte. Wie die Kinder diesen Besuch erlebten, ist dieser neuen Folge unserer Ton-Bild-Reportagen zu sehen (die bislang erschienenen sind unter anderem hier, hier und hier zu sehen).

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