16. September 2010

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Die WM – ein Wintermärchen! from Frey und Schaechtele on Vimeo.

Damit ging es los: „So, Leute, wir haben in den vergangenen Monaten nun wirklich oft genug gehört, dass der Journalismus an seinem Ende angelangt sei, dass niemand mehr Lust habe, Geschichten zu erzählen, und niemand mehr, sich die Geschichten, die trotzdem noch erzählt werden, anzusehen bzw. anzuhören. Wir werden das Land deshalb verlassen. Um uns auf die Suche zu machen nach den Geschichten, die es wert sind, erzählt und erlebt zu werden. Wir werden uns auf den Weg machen nach Südafrika, um Antworten auf die Frage zu suchen: Erlebt dieses Land in den vor uns liegenden Wochen sein Wintermärchen?“

Das war am 22. Mai, knapp zwei Wochen vor unserem Abflug nach Kapstadt und drei Wochen vor Beginn der ersten WM auf afrikanischem Boden. Wir hatten keine Vorstellung davon, was uns in den eineinhalb Monaten erwarten würde, die vor uns lagen. Unser Plan war, ausgerüstet mit drei Kameras, einem Mikrophon, zwei Computern und der Verbindung zum Internet, wo immer wir sie aufbauen würden können, unsere Reise Tag für Tag zu dokumentieren. Wir wollten zeigen, was die WM aus diesem Land machen und wie die Südafrikaner es empfinden würden, dass zumindest für vier WM-Wochen die ganze Welt auf sie blickt. Herausgekommen sind dabei viele, viele Texte, noch mehr Fotos und einige Ton-Bild-Reportagen. Die berührendsten und interessantesten Szenen daraus haben wir in einem etwa sechsminütigen Film zusammengefasst. Dieser Film ist gewissermaßen unsere Antwort auf die Frage, ob Südafrika sein Wintermärchen erlebt hat im Juni 2010.

Wir finden: Ja, hat es.

Und wer die Filme nun jeweils in ganzer Länge sehen möchte, bitteschön:

Tag 35: “Darling, lass uns nach einem Haus schauen”

Tag 27: “Das Herz von Durban”

Tag 19: “Facebook sei Dank – ein Ausflug zur WM”

Tag 17: “Ich bin zufrieden”

Tag acht: “Weihnachten im Quadrat”

Tag fünf: “Ich möchte heulen”

¬ geschrieben von admin in Allgemein, Slideshows

16. Juli 2010

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„Das ist nicht das Ende – es ist erst der Anfang“: Mit diesen Worten hat der südafrikanische Präsident Jacob Zuma am Montag nachmittag seine Rede beschlossen, in der er die Bilanz der zurückliegenden vier Wochen gezogen und diese WM nach allen Regeln politischer Kunst in den Dienst seiner eigenen Regierungsarbeit gestellt hatte: Südafrika ist auf einem guten Weg, von der Erinnerung an diese WM wird das Land noch lange zehren können, all die Stadien sind Stein gewordene Nachweise der Leistungsfähigkeit der südafrikanischen Bevölkerung, jeder einzelne Rand ist sinnvoll investiert worden. Wenn es jedoch nach dem Wunsch von Ben von Heynitz geht, sollte für Zuma persönlich das Gegenteil gelten: Seine Präsidentschaft, die erst im vergangenen November begonnen hat, möge bitte bald wieder zu Ende gehen. So sehr sich der 70-Jährige auch darüber freut, dass die Südafrikaner mit dieser erfolgreich über die Bühne gegangenen WM gezeigt haben, mit den großen Industrienationen Schritt halten zu können, so sehr verkörpert Zuma für ihn das Risiko, dass das Land auf halber Strecke stehen bleiben könnte.

Von Heynitz gehört zu der Bevölkerungsgruppe Südafrikas, die sich in den vergangenen Jahrzehnten einen ansehnlichen Wohlstand erarbeitet hat. Vor 43 Jahren flog er von Deutschland nach Südafrika, kaufte sich für 300 Mark einen VW-Käfer, verliebte sich in die Südafrikanerin Sheila und blieb. Er begann, seine eigene Firma aufzubauen, „Carpet Brokers“ ist heute der drittgrößte Teppich-Großhändler Südafrikas, von Heynitz versorgt das ganze Land mit Teppichen, Laminaten und Fußböden. Die letzten Tage unserer Reise sind wir bei ihm und seiner Familie untergekommen und haben damit zum Schluss Einblick in den Teil Südafrikas bekommen, von dem wir bislang nur die hohen Mauern gesehen hatten, hinter denen sich Häuser, Gärten und bellende Hunde verstecken.

Im Verlauf unserer sechswöchigen Reise haben wir erlebt, wie unterschiedlich die einzelnen Bevölkerungsgruppen leben und denken und wie sehr ihre Häuser diese Unterschiedlichkeit symbolisieren. Wir haben Zola Williams im Kapstädter Township Delft getroffen, für den sein eigenes Haus die Erfüllung seines größten Wunsches war und die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. Wir saßen bei Gladys und Sylvester Mahlangu auf dem Sofa, die uns erzählt haben, was es für sie bedeutet, inzwischen in einem Haus leben zu können, das in einem Stadtteil in Johannesburg liegt, zu dem Schwarze zu Apartheidszeiten keinen Zutritt hatten. Ihre Häuser markieren jeweils eine durchweg positive Entwicklung. Bei Familie von Heynitz ist es auf gewisse Weise genau umgekehrt: Sie lebt seit langer Zeit in ihrer Villa, zu der ein Pool genauso gehört wie das Gartenhaus, in dem wir gewohnt haben. Dass sich die Zeiten in Südafrika geändert haben, merkt sie daran, dass manchmal der Strom für ein paar Tage ausfällt. Schuld daran trage der ANC (African National Congress), der bewiesen habe, dass er nicht in der Lage sei, das Land ordentlich zu führen, sagt Ben von Heynitz, und das werde dazu führen, dass der ANC, den Jacob Zuma anführt, seinen Rückhalt in der Bevölkerung einbüßen werde.

„Ich denke, dass der ANC immer weiter an Unterstützung verlieren wird. Einfach, weil sie nicht gezeigt haben, dass sie die Basisversorgung des Landes sicherstellen können, Wasser, Strom, die Bereitstellung von Häusern zu einem gewissen Grad, Arbeitsplätze. Ich würde sagen, dass das Arbeitsrecht in vielen Fällen zu starr ist. Firmen stellen lieber niemanden auf die Schnelle ein, was notwendig wäre, weil die Bevölkerung immer weiter zunimmt. Viele Menschen kommen hierher, aus Nigeria, Mosambik, Malawi, aus allen Ländern nördlich von uns. Sie wollen alle hierher kommen. Es heißt, dass 45 bis 50 Millionen Menschen hier leben. Ich schätze, dass allein sechs Millionen aus Simbabwe wegen Robert Mugabes katastrophaler Politik hierher gekommen sind. Unsere Bevölkerungszahl muss zwischen 60 und 62 Millionen Menschen liegen, was uns fast genauso groß wie Deutschland macht. Das schafft viele Bedürfnisse: Nahrung, Häuser, Straßen. Das ist nicht schlecht für unsere Wirtschaft. Ich bin sehr optimistisch, was unsere Zukunft angeht.“

Für von Heynitz repräsentiert Jacob Zuma all das, was in Südafrika im Argen liegt: Die Eliten des ANC kümmerten sich mehr darum, sich selbst und ihre Angehörigen zu bereichern, Korruption zersetze die Wirtschaft und das öffentliche Leben. Es würde aber nicht zu von Heynitz´ Wesen passen, sich davon seinen Optimismus zersetzen lassen. Er ist Unternehmer durch und durch, noch heute sitzt er jeden Morgen um sieben im Büro und arbeitet daran, sein Unternehmen in einem gesunden Zustand an seine Söhne weitergeben zu können. Eine seiner neuen Ideen ist, im sächsischen Meerane demnächst ein Südafrika-Haus zu eröffnen, das sich irgendwann zu einem Standbein in seiner alten Heimat entwickeln soll. Er habe sich an das Auf und Ab gewöhnt, in seinem eigenen Unternehmen genauso wie in dem Land, in dem er sesshaft geworden ist, trotz aller Schwierigkeiten, die bis heute überdauert haben.

In Südafrika gibt elf verschiedene Landessprachen, und man hat mitunter den Eindruck, dass hier elf verschiedene Völker in den Grenzen eines Landes leben, die nicht mehr miteinander gemeinsam haben als die Landesflagge. Dass Südafrika irgendwann ein Land sein wird mit einer homogenen Bevölkerungsstruktur, wird eine Utopie bleiben. Auch die Weltmeisterschaft wird daran nichts ändern, so sehr die Menschen hier die nationale Einheit beschworen haben, wenn sie gemeinsam vor einer Leinwand standen. Aus Südafrika wird nie ein demokratischer Staat nach europäischem Vorbild werden. Eher wird Südafrika der Modellstaat für eine afrikanische Demokratie, die die Aufgabe hat, das Erbe der Kolonialisierung mit der Gegenwart zu versöhen.

„Wir werden nie so werden wie eine europäische Demokratie, weil wir eine so unterschiedliche Bevölkerungsstruktur haben. Aber die Basisregeln der Demokratie sind installiert, wir können die Politik des Landes dadurch verändern, dass die Bevölkerung anders wählt. Das hat unter anderem dazu geführt, dass der ANC, der über eine absolute Mehrheit verfügt hat, diese bei der letzten Wahl schon nicht mehr erreicht hat. Neue Partien sind entstanden, und ich erwarte, dass es nach der nächsten Wahl in vier Jahren eine viel stärkere Opposition geben wird. Außerdem glauben wir, dass nach den Regionalwahlen im kommenden Jahr, nachdem der ANC Kapstadt und die Western Cape-Provinz bereits verloren hat, auch andere Provinzen und Städte nicht länger in der Hand des ANC bleiben werden. Und deshalb wird Südafrika eine neue Richtung einschlagen.“

Dass es zum Besten Südafrikas wäre, wenn der ANC seine Macht über das Land verlöre, ist eine Sicht, die nur ein paar Kilometer weiter bei Familie Mahlangu erbitterten Protest auslösen würde. Für sie ist Jacob Zuma nicht derjenige, der das Land ruiniert, sondern der, der das Erbe Nelson Mandelas weiterträgt. So steht am Ende unserer sechswöchigen Reise die Erkenntnis, dass Südafrika noch lange brauchen wird, um zu einer gesunden Gesellschaft zu werden, in der die Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe die einigermaßen gleichen Chancen auf ein Leben in materieller und persönlicher Freiheit haben. Doch diese WM war zugleich der Beginn einer Entwicklung wie das Ende einer anderen: Südafrika trägt seine Kämpfe heute in politischen Debatten aus und nicht in blutigen Kämpfen. In Deutschland ist das eine Selbstverständlichkeit, in Südafrika ist es noch immer, sechzehn Jahre nach der Wahl Nelson Mandelas zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, etwas, worauf Menschen wie Ben von Heynitz, Zola Williams und Gladys und Sylvester Mahlangu gleichermaßen stolz sind.

Der Geist dieser WM wird bald verflogen sein, doch der Stolz darauf, dass Südafrika in den letzten eineinhalb Jahrzehnten Strukturen geschaffen hat, die sie erst möglich gemacht haben – der wird bleiben.

In eigener Sache: Dies ist der letzte Beitrag aus Südafrika. Heute abend steigen Frey& Schächtele ins Flugzeug, das uns zurück nach Europa bringt. Wir danken sehr für die Aufmerksamkeit in den vergangenen sechs Wochen. Bis zum nächsten Mal, wann auch immer das sein wird.

¬ geschrieben von admin in Allgemein

12. Juli 2010

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Liebe Freunde des Wintermärchens, die Herren Frey & Schächtele fahren jetzt nochmal kurz ins Grüne, bevor sie am Freitag ins Flugzeug steigen. Selbstverständlich erwarten wir am kommenden Samstag am Berliner Flughafen Tegel ein Begrüßungskomitee, das das der deutschen Nationalmannschaft bei weitem in den Schatten stellt. Wir landen um halbelf, mit Turkish Airlines aus Istanbul kommend.

Wir wollen an dieser Stelle nochmal Danke sagen für all die tollen Reaktionen aus Deutschland in den vergangenen Wochen. Es war im letzten August, als die Idee dieser Reise aufkam. Frey hatte mit seiner Kamera die WM 2006 und die EM 2008 bereist, Schächtele zwischen Oktober 2004 und April 2005 ein halbes Jahr in Kapstadt gelebt – was also lag näher, als während der WM 2010 gemeinsam durch dieses Land zu reisen, um davon zu berichten, was die WM mit diesem Land macht und wo Südafrika heute steht, 16 Jahre nach der Wahl von Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten in der Geschichte dieses Landes.

Wir haben das gemacht, weil das genau die Art des Geschichtenerzählens ist, die uns liegt. In Texten, in Bildern, in Tönen und in der all das vereinigenden Form, den Ton-Bild-Reportagen (von denen es Ende dieser Woche nochmal ein Zusammenschnitt auf dieser Seite geben wird). Wir haben das aber auch gemacht, weil wir der Überzeugung sind, dass man auch in Zeiten, in denen sich der Journalismus radikal verändert, unter Beweis stellen kann, nein: muss, dass er seinen Wert hat – erst recht im Internet, wo man für jede Geschichte genau die Erzählform wählen kann, die ihr gebührt. Mal in einem ausführlichen Text, mal mit einem um den entsprechenden Ton ergänzten Foto, mal in einem Film.

Im Verlauf unserer Mission haben wir etwas mehr als 1000 Euro eingenommen, dafür wollen wir unseren Unterstützern herzlich danken. Damit konnten wir immerhin unseren Mietwagen finanzieren und einen Teil der laufenden Kosten: für unzählige Kaffees in Internet-Cafés, für überteuerte Übernachtungen in Gasthäusern, für eine ordentliche Wurst, die hier Boerewors heißt. Den Rest dieser am Ende sechswöchigen Reise bezahlen wir selbst – es ist unsere Investition in die eigene Zukunft, in der wir eigentlich nie mehr etwas anderes machen wollen als das, was wir in den hinter uns liegenden Wochen getan haben. Journalismus kann so vieles: aufklären, informieren, aufdecken, einordnen, kommentieren, moderieren. Und: erzählen. Jetzt müssen wir nur noch einen Weg finden, das Geschichtenerzählen mit den Möglichkeiten des Internet auch zu finanzieren. Aber wir stehen ja erst ganz am Anfang des Strukturwandels.

Und damit: herzliche Grüße nach Deutschland, Frey & Schächtele

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein

10. Juli 2010

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Als die Partie zwischen Paraguay und Kambodscha abgepfiffen ist, holt die erste Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden noch einmal tief Luft. Die Mannschaften haben kaum den Kunstrasen geräumt, als Helfer einen Tisch mit Computer und Mischpult aufs Feld tragen, verfolgt von einer Sonnenbrille auf zwei Beinen. Es ist der DJ, der sich nun daran macht, seinen Arbeitsplatz einzurichten. Kabel in die Buchsen, Kopfhörer über die Ohren, Computer aufgeklappt. Auf der Tribüne bringen sich derweil die Mädchen in Pose, die Mütter ziehen die Tücher fest, mit dem sie ihre Babys auf den Rücken gespannt haben, die Jungs verstecken sich hinter ihrer Coolness. Als der DJ seinen Bass endlich freigibt, verwandelt sich in Sekunden das, was gerade noch das Publikum des “Football for Hope”-Festivals war, in eine bunte, vor sich hin zappelnde Masse: mit in den Himmel gestreckten Vuvuzelas, tanzenden Mädchen und Jungs, die sich zaghaft aus ihren Verstecken trauen. Und dann kommt die inoffizielle Hymne dieser WM, „Wavin´ flag“, den sich eine amerikanische Brausebrauerei zu Eigen gemacht hat, und treibt die Menge in Ekstase.

An diesen Spätnachmittag holen sich die Menschen den Song einfach zurück. Als der Refrain läuft, wird aus der WM, diesem durchkommerzialisierten Weltspektakel, für einen Moment das, was in Werbeclips sonst nur inszeniert wird: eine Bühne derer, die der Fußball zusammengeholt hat und die alle gemeinsam ihre Freude darüber herausschreien.

Keine Frage ist in den vergangenen Wochen intensiver diskutiert worden als diese, unter Weißen und Schwarzen, Armen und Reichen, Fußballfans und Rugbyanhängern, Südafrikanern und ihren Gästen: Was bleibt, wenn die Welt das Land verlassen haben wird und die Südafrikaner zurückbleiben: mit ihren prunkvollen Stadien, für die es keine Verwendung mehr gibt, mit ihren absurd hohen Schulden, die das Land dafür angehäuft hat – was bleibt von dieser ersten Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden? Doch lässt sich eine solche Frage befriedigend beantworten, wenn sie von so vielen Menschen mit so unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen gestellt wird? Wahrscheinlich ist es sinnvoller, sich einfach anzusehen, was diese WM mit den Menschen in Südafrika macht. Und es gibt dafür kaum einen besseren Ort als das „Football for Hope“-Festival mitten in Alexandra, einem der ärmsten Townships Johannesburgs, in dem viele Menschen weitgehend sich selbst überlassen sind. Früher, so erzählt man sich in den Straßen, habe es hier jeden Tag eine Beerdigung geben, heute gebe es Hoffnung. Und das sei auch ein Verdienst dieser Fußball-WM.

Dabei war das, was in Alexandra passiert, gar keine Idee der Fifa, auch wenn sie das komplette Festivalgelände so mit ihren Bannern bepflastert hat, dass bitteschön niemandem entgehen möge: Das viele Geld, das wir einnehmen, sind wir auch bereit, für gute Zwecke auszugeben. Das Festival geht zurück auf „Streetfootballworld“, eine Organisation, die ihren Sitz in Berlin-Moabit hat und seit 2002 daran arbeitet, den Fußball als Motor für soziale Entwicklungen einzusetzen. Zum ersten Mal fand das Festival während der WM 2006 im Berlin statt, und weil die Fifa fand, dass es sich ideal in seine Strategie einfügt, hat sie das Festival diesmal in seine Obhut genommen und das Festivalgelände offiziell zum elften Austragungsort dieser WM erklärt. Wie bei den Großen treten hier 32 Mannschaften aus aller Welt an, doch die aus Mädchen und Jungen zusammengesetzten Teams konnten sich dafür nicht qualifizieren, sie mussten sich bewerben. Wichtig seien weniger die sportlichen Fähigkeiten gewesen, sagt Sarah Bagel von „Streetfootballwork“, die dieses Festival mit ihren über 20 Kollegen seit eineinhalb Jahren vorbereitet hat. Sondern dass die Organisationen aus den einzelnen Ländern die Idee verinnerlicht hätten, die hinter dem Festival steht.

Der Fußball ist der Magnet, der die Menschen anzieht. Und wenn sie dann schon einmal da sind, kann man ihnen nebenbei die Botschaften mit auf den Weg geben, die ihnen zu einem gesünderen, sicheren, schlicht: besseren Leben verhelfen sollen. Weltweit haben sich Organisationen diesem Prinzip verschrieben, auch die, die am Turnier in Johannesburg teilnehmen. Bei „Red Paraguaya de Partidi“ etwa spielen paraguayische Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien Fußball und lernen, wie sie das Verhalten auf dem Platz auf ihren Alltag übertragen können. Bei „Spirit of Soccer“ treffen sich Jugendliche aus Kambodscha zum Kicken, lernen anschließend, wie man sich vor Landminen schützt, und geben dieses Wissen an ihre Gleichaltrigen weiter. Und das „Team Alexandra“, die Heimmannschaft, wenn man so will, wurde von „Play Soccer“ entsandt, wo Jugendliche sich genauso darin weiterbilden, wie man sich vor HIV/Aids schützt, wie davor, dem Gruppenzwang zu Alkohol zu widerstehen. Von allen Kontinenten stammen die Mannschaften, der überwiegende Teil aus Afrika. Sie sind der Beweis dafür, dass das Klischee vom Fußball, der ein Leben in Wohlstand und Ruhm ermögliche, von einer viel wirkungsmächtigeren Idee abgelöst worden ist: Wo eine Gesellschaft damit überfordert ist, sich um die sozialen Belange ihrer Schwachen zu kümmern, ist es unter anderem der Fußball, der diese Lücke füllt.

Eine Woche vor Ende der WM hat das Festival begonnen, jeden Morgen standen die Menschen aus dem Township Schlange vor den Türen, um einen Platz auf der Tribüne zu ergattern. Alexandra ist als Austragungsort für dieses Festival der symbolträchtigste, den man sich denken kann. Hier begannen 2008 die fremdenfeindlichen Ausschreitungen, die Südafrika weltweit in die Schlagzeilen brachten: Die Ausländer nehmen uns Arbeit weg und bringen Kriminalität mit – das war die Begründung derer, die Jagd gemacht hatten auf Menschen aus Simbabwe, Mosambik oder dem Kongo. Die waren mit der Hoffnung nach Südafrika gekommen, der Aussichtslosigkeit in ihren Heimatländern zu entfliehen. Durch Johannesburg geht zum Ende der WM das Gerücht, dass die Ausschreitungen unmittelbar danach wieder aufflammen könnten. Wenig hat sich in Leben der Menschen in Alexandra seit der Überwindung der Apartheid geändert, und man kann die Verbitterung umso besser nachvollziehen, wenn man nur ein paar Kilometer weiter fährt und sieht, wie sich der Wohlstand dort hinter hohen Mauern und Elektrozäunen verschanzt.

Auch dem Fußball wird es nicht gelingen, die Barrieren einzureißen, die im Südafrika des Jahres 2010 nach wie vor herumstehen; erst recht nicht eine Fußball-Weltmeisterschaft, die für vier Wochen über das Land hereingefallen ist und von der die meisten doch kaum mehr mitbekommen haben als das, was im Fernsehen lief. Doch die Tage des „Football for Hope“-Festivals haben wenigstens das eine gezeigt: Wenn nicht die Menschen zum Fußball kommen müssen, sondern der Fußball zu den Menschen geht, kann dort die Hoffnung auf ein besseres Leben entstehen. Nach dem Ende des Festivals wird der Platz an anderer Stelle neu aufgebaut, bis 2012 sollen insgesamt 20 solcher Fußball-Bildungszentren in ganz Afrika entstehen, von Südafrika bis Ruanda.

Und so lässt sich der Wert dieser WM am Ende wohl weder in Wirtschaftsdaten messen noch in der Summe des Geldes, das die Touristen während der WM ins Land gebracht haben, von denen über 500 000 während der WM gekommen sein sollen. Was von dieser WM bleiben wird, ist die Botschaft, dass der Fußball, dieses einfache und simple Spiel, Afrika und die Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt, dem Rest der Welt ein Stück näher gebracht hat. Doch die wahre Herausforderung beginnt erst, wenn das Finale abgepfiffen sein und Shakira ein letztes Mal ihre Hüften zur offiziellen Hymne dieser WM geschwungen haben wird. Dann wird sich auch zeigen, ob es der Fifa beim “Football for Hope”-Festival in Alexandra mehr ums Festival ging oder mehr um die Hoffnung.

In eigener Sache: Damit schließt das “Wintermärchen 2010″ seine Pforten. Es wird an dieser Stelle demnächst noch eine Zusammenstellung der schönsten Szenen aus den Ton-Bild-Reportagen geben, und das wars dann. Wir danken allen für jede ideelle und finanzielle Unterstützung in den vergangenen Wochen, Euer Feedback hat unsere Maschine immer wieder mit neuem Treibstoff befeuert. Und wer sich zum Schluss nun denkt: Hach, hat schon Spaß gemacht, schade dass es vorbei ist, dafür haben die Herren Frey & Schächtele aber auch ein ordentliches Honorar verdient – wir freuen uns über jeden Beitrag.

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein

9. Juli 2010

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Darling, lass uns nach einem Haus schauen from Frey und Schaechtele on Vimeo.

Im Leben von Gladys, 66, und Sylvester Mahlangu, 77, spiegelt sich die ganze Geschichte Südafrikas seit den vierziger Jahren. Sie stammen aus Johannesburg und wurden groß in einem Land, das ihnen die Bildung versagen wollte, die die Kinder der Weißen genießen durften. Sie hatten das Glück, trotzdem eine fundierte Ausbildung absolvieren zu können und ihren Platz im Apartheids-Südafrika zu finden. Später arbeiteten sie leidenschaftlich dafür, ihr Wissen an die nachkommenden Generationen weitergeben zu können. Und als Nelson Mandela 1990 aus dem Gefängnis von Robben Island entlassen wurde, aßen sie gemeinsam mit ihm zu Abend.

Über ihre Verbindung zu Mandela, dessen Johannesburger Anwaltsbüro Gladys in den Sechzigern noch mit Kuhdung geputzt hatte, sprechen sie nicht gern. Über ihr Leben dafür umso lieber: in einer neuen Ausgabe unserer Ton-Bild-Reportagen aus Südafrika.

¬ geschrieben von admin in Allgemein, Slideshows

7. Juli 2010

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Als es Muriel Mahlangu nicht mehr ausgehalten hat, hat sie ihre Sachen gepackt und ist nach Hause geflogen. Muriel ist Anwältin, sie lebte einige Jahre in Dublin, um dort für die EU zu arbeiten. Nach Johannesburg ist sie zurückgekehrt, weil sie, wie sie sagt, etwas an ihr Land zurückgeben wolle, das ihr so viel ermöglicht hat.

Während ihrer Auslandsjahre hat sie ihren Blick dafür geschärft, was es ist, das Südafrika von anderen Ländern unterscheidet. Jetzt, da diese Weltmeisterschaft bald vorüber ist, haben wir sie deshalb gefragt, was nach ihrer Meinung bleiben wird, wenn wir alle längst wieder zuhause sind.

„Ich glaube, die Leute werden sehen, dass es viel Gutes gibt, in Südafrika wie auf dem ganzen Kontinent. In der westlichen Welt gibt es einige Vorurteile über Afrika. Aber es ist dort eine materielle Welt, die alles umgibt. Und das fängt in einem selbst an. Man kann natürlich in der materiellen Welt ankommen, aber wer nicht bei sich selbst ankommt, hat nichts. Und ich denke, wir haben diese Fähigkeit, bei sich selbst anzukommen. Ich habe lange im Ausland gelebt. Und dort mangelt es vielen an dieser Fähigkeit.“

Erlebt Südafrika in den vier Wochen dieser WM ein Wintermärchen (die Frage, ob das der Deutschen noch ein bisschen weitergeht, war bei Redaktionsschluss dieses Beitrags noch nicht beantwortet)? Dies ist Muriels Antwort:

„Ja, es gibt ein Wintermärchen, und das liegt daran, dass sich hier die Kulturen gemischt haben. Diese WM war eine, die die ganze Welt miteinander verbunden hat. Es gab keine Deutschen, keine Holländer oder wen auch immer – es war eine große Gemeinschaft. Und dass Südafrika dies als erstes Land auf diesem Kontinent erlebt hat, war wirklich wunderbar. Unerwartet. Hochwillkommen. Und die Leute, die hier waren – daran habe ich keinen Zweifel –, waren froh, dass sie gekommen sind. Sie bereuen es nicht. Es war eine Gelegenheit für all die Menschen in Afrika, die so lange außen vor waren. Und sie haben es gut hinbekommen. Das ist ein Märchen – ein Wintermärchen.“

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein

6. Juli 2010

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Ein Besuch in Erasmia, dem Ort, in dem das deutsche Team sein Lager aufgeschlagen hat

Der Tempelraum dieser Weltmeisterschaft steht in „Gaff´s Grill”, 374 Marinus Rabie Street, Erasmia. Zu ihm gelangt, wer von der Main Road abfährt, an deren Beginn eine Tankstelle liegt und an deren Ende eine Open Air-Hotelbunkeranlage namens „Velmore“. Von außen sieht „Gaff´s Grill” nach dem aus, wonach der Name klingt: ein Schnellimbiss, dessen Wände mit dem Frittierfett aus hundert Jahren ausgekleidet sind. Doch würde der Besitzer eines Schnellimbisses eine Tafel an die Fassade anbringen, auf der „It´s worth the wait“ steht? Der Tempelraum liegt rechts neben der Theke, über seiner Tür hängt ein „Reserved“-Schild. Es scheint, als würde Rehana Dawood ihre Welt nur demjenigen öffnen, der sich nicht von ihrem äußeren Schein abhalten lässt. Die WM hat diese Hürde bislang nicht genommen. „Ihr seid die ersten Gäste aus dem Ausland“, sagt sie mit großen Augen. „Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet.“

Vor sieben Jahren hat die 49-jährige Rehana Dawood ihr Restaurant eröffnet, einen Monat vor Beginn der WM hat sie mit der Dekoration angefangen. Mit Fahnen aus allen teilnehmenden Ländern, Stoffbahnen, die über die Decke gespannt sind, einem Fernseher in der Raummitte und einem überdimensionalen Trikot an der Stirnseite, das sie selbst geschneidert hat. Darauf sollte jeder unterschreiben, der hier während der vier WM-Wochen isst und sich dabei ein Spiel ansieht. Das Trikot ist voll von Autogrammen, es sieht aus wie eines, das Nationalspieler gern unterschreiben, bevor es für einen guten Zweck versteigert wird. Doch auf Dawoods Trikot haben bislang nur Freunde unterzeichnet, die auch gekommen wären, wenn über den Fernseher Aktienkurse laufen würden. Dabei hatte Dawood so sehr darauf gehofft, dass sich vor allem ein paar Deutsche in ihrem Laden würden blicken lassen. Denn hier in Erasmia, dem 5000-Seelen-Städtchen im Speckgürtel von Johannesburg, wohnt das deutsche Team; im „Velmore“, der Anlage, die sich hinter hohen Mauern versteckt und deren Chefin eine Freundin von Dawood ist, keine fünf Autominuten entfernt von „Gaff´s Grill”.

Als sie erfahren hatte, dass die Deutschen nach Erasmia kommen würden, war sie sprachlos, ihrem Temperament entsprechend, in dem sich die Spiritualität ihrer indischen Vorfahren mit der südafrikanischen Begeisterungsfähigkeit vermengt. In ihrer Fantasie wurde ihr Restaurant zu einem Ort, an dem sich treffen würde, was sie sonst nur im Fernsehen sieht: Touristen, die nach einem Besuch beim deutschen Team auch zu ihr kommen. Journalisten vielleicht, die an ihrem Tisch die Aufstellung fürs nächste Spiel diskutieren. Und womöglich sogar ein paar Spieler, die mal was anderes essen wollen als das, was der deutsche Teamkoch serviert. Doch es kam: niemand. Und man muss nur zwei Kilometer weiter fahren, um zu sehen warum.

Es würde für den Tross, der nach Südafrika allein wegen des Fußballs gekommen ist, keinen Unterschied machen, ob diese WM in Afrika, auf einer Eisscholle in Alaska oder hinter dem Mond ausgetragen wird. Ein typischer Tag in Velmore verläuft wie der vergangene Montag, zwei Tage vor dem Halbfinale gegen Spanien: Journalisten kommen aus ihren Unterkünften nach Erasmia, die im nahegelegenen Pretoria liegen, in den umzäunten Vierteln von Centurion oder, ganz selten, im etwa sechzig Kilometer entfernten Johannesburg. Die meisten stellen ihren Wagen auf dem staubigen Rand an der Main Road ab, obwohl der DFB nebenan extra einen Parkplatz hat anlegen lassen – mit einem Zaun aus schwarzen Gitterstäben und einem über die Straße führenden Zebrastreifen. Was fehlt, ist ein Schild, auf dem steht: „Please be careful – German journalists are passing“. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass kaum jemand diesen Parkplatz nutzt.

Hinter der Mauer der Hotelanlage, die nur überwindet, wer seine Akkreditierung zeigt, erschließt sich das nächste staubige Feld, durch den nächsten Zaun sauber abgetrennt vom Rest der Anlage: Es ist das Journalistengehege. In dem Gebäude in der Mitte findet die tägliche Pressekonferenz mit dem Bundestrainer und ausgewählten Spielern statt, nebenan gibt es einen Arbeitsraum, mit Erfrischungsgetränken von Coca-Cola (die gibt´s gratis) und einer Bar, die löslichen Kaffee serviert (den nicht). In diesem Gebäude werden die Fragen verhandelt, die über das Wohl und Wehe des deutschen Fußballs entscheiden: Wer ersetzt Thomas Müller? Trägt das Trainerteam auch im Halbfinale geschlossen blaue Pullis? Und wann kommt eigentlich Frau Löw?

Zu den Höhepunkten solcher Veranstaltungen kommt es aber nicht, wenn Joachim Löw spricht, sondern wenn er zuhört. Dann werden die Fotografen besonders nervös, die wie hungrige Tiere auf dem Boden vor dem Tisch des Bundestrainers sitzen. Bergen solche Momente doch die Chance, eine Geste von ihm einzufangen, die sich vom Motiv “Löw spricht, Rest hört zu” unterscheidet. So wie bei dieser Frage eines Kollegen aus Süddeutschland. Achtung, bei Sekunde 0:05 greift sich Herr Löw ans Kinn.

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Nach etwa einer Stunde ist der Zinnober vorbei. Die Fotografen machen sich an die Arbeit, Bilder von Löws Kinn an ihre Redaktionen zu schicken. Die Journalisten treten ins Freie und interviewen sich gegenseitig, die Niederländer die Deutschen, die Polen die Spanier, es ist ja sonst keiner da. Und die besonders Kühnen bringen sich in Positur, um sich gemeinsam mit einer mexikanischen Fernsehmoderatorin fotografieren zu lassen, die in einem unbeobachteten Moment ihre Brüste zurechtgerückt hat und aussieht wie die kleine Schwester von Shakira, die jetzt verdammt nochmal genauso berühmt werden will. Wenn alle Fotos verschickt, Texte geschrieben und Brüste fotografiert sind, ist die Arbeit erstmal getan. Man könnte die Zeit jetzt nutzen, um ein klein bisschen Südafrika zu erleben, vielleicht im Lebensmittelladen ein paar hundert Meter weiter, in dem ein Kassierer hinter Gitterstäben sitzt und Männer aus Mosambik und Tansania davor stehen. Oder beim Friseur die Straße runter, in dessen Laden ein Zettel an der Wand hängt, auf dem noch immer Karten fürs Viertelfinale Ghana gegen Uruguay angeboten werden, mit einem Aufschlag von 300 Rand und dem Hinweis: „I have to take commission because my dad says I must be a businessman.“ Oder in „Gaff´s Grill”. Die Deutschen? heißt es aber überall. Keinen gesehen.

Nächster Programmpunkt: das Training in einem etwa eine halbe Autostunde entfernt liegenden Stadion, drei Stunden später. Je fünfzehn Minuten pro Einheit ist es Journalisten gestattet, den Nationalspielern beim Bällehochhalten, Warmlaufen und Lachen (Ein gutes Zeichen? Ein gutes Zeichen!) zuzusehen. Es ist die Zeit, in der man mit eigenen Ohren miterleben kann, dass Joachim Löw diesmal wirklich an alles gedacht hat. Denn wenn man den Namen seines wichtigsten Spielers schon nicht aussprechen kann – wie soll man ihn dann ausschalten? Hier zum Beispiel versucht es ein spanischer Fernsehjournalist, es ist sein etwa 15. Versuch:

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Irgendwann ruft ein Sicherheitsmann „Time“, die Presse packt ihre Sachen, steigt ins Auto, fährt davon – und wartet im Hotel darauf, dass der Tag zu Ende geht.

Viele Kollegen hätten diese WM langsam satt, hört man unter deutschen Journalisten dieser Tage oft. Es ist Winter in Südafrika, die WM findet nur statt zwischen dem eigenen Hotel, dem „Velmore“ und dem Trainingsstadion, abgesehen von den Reisen in die WM-Stadien und den organisierten Ausflügen der Deutschen Botschaft bekommen die meisten nichts mit vom Land. Der Linksverkehr, die viele Arbeit, die Gefahren, von denen im Vorfeld so oft die Rede war – ach, da bleibt man besser auf seinem Zimmer. Und muss sich dort dann via deutsches Fernsehen ansehen, wie Hunderttausende vor dem Brandenburger Tor stehen und bei sengender Hitze die Deutschen bejubeln.

So eine WM in Afrika kann einem wirklich auf den Magen schlagen. Dabei würde sich Rehana Dawood so sehr über Besuch freuen.

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein

5. Juli 2010

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Es gehört zur Realität dieser ersten Weltmeisterschaft in Afrika, dass hier Welten aufeinander prallen, die so viel miteinander zu tun haben wie der WM-Ball mit einem zusammengeknoteten Stoff-Knäuel: Mit beiden kann man Fußball spielen, doch wo der eine ein nach exakten Normen gefertigtes Hightech-Produkt aus der Ersten Welt ist, ist das andere ein Symbol dafür, wie das Leben in der Dritten Welt ist, dort, wohin kein Scheinwerfer strahlt.

Im südafrikanischen Fernsehen läuft in den Werbeunterbrechungen der WM-Spiele zum Beispiel ein Spot von Coca-Cola: Der handelt von einem computeranimierten schwarzen Jungen, der auf einer staubigen Piste Fußball spielt, dann von absurd großen Fußball-Monstern durch die Luft geschleudert wird, mit einem Schluck Cola gefüttert wird wie ein kleiner Vogel und am Ende in einem riesigen Fußballstadion landet, in dem ihm die Massen zujubeln. Bei Coca-Cola ist eben nicht nur die Limo süß, sondern auch das Klischee von Afrika.

Nokhwezi Hoboyi hat eine andere Geschichte zu erzählen. Die junge Frau kommt aus der Provinz Gauteng, einer Gegend, in der sich die einzelnen Dörfer in der Weite verlieren, mit Johannesburg in ihrem Zentrum. Nokhwezi Hoboyi ist HIV-positiv.

„Ich lebe seit zwölf Jahren mit dem Virus. Ich habe zwei Kinder durch Krankheiten verloren, die auf Aids zurückgingen. Erst nachdem sie geboren waren, habe ich herausgefunden, dass ich HIV habe. So wurden auch sie infiziert. Aber nachdem ich die antiretrovirale Behandlung begonnen hatte, habe ich mehr über HIV gelernt, weshalb ich wusste, wie ich ein Kind zur Welt bringen und es genauso wie meinen Partner schützen kann. Jetzt bin ich Mutter eines Sohnes, der HIV-negativ ist. Er wird in diesem Jahr drei Jahre alt und ist sehr gesund.“

Nokhwezi Hoboyi ist die Sprecherin der „Treament Action Campagne“ (TAC), einer südafrikanischen Organisation, die sich vor über zehn Jahren gegründet hat. Es war die Zeit, als der HI-Virus über das südliche Afrika hereinbrach wie die unsichtbare Armee einer feindlichen Macht. Die Menschen starben, ohne zu wissen warum, nur die Reichen konnten sich die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten leisten. Hoboyi beschloss, sich dafür einzusetzen, dass alle Infizierten Zugang zu diesen Medikamenten bekommen, und schloss sich der TAC ein. Bei dem von der südafrikanischen Sektion von „Medecins sans Frontieres“ organisierten Fußballturnier hielt sie eine leidenschaftliche Rede, die wir hier dokumentieren:

Halftime – Die Krise ist noch nicht vorüber from Frey und Schaechtele on Vimeo.

Zwei Drittel der weltweit mit HIV infizierten Menschen leben laut Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ im südlichen Afrika. 2010 wurde vor langer Zeit definiert als das Jahr, in dem jeder Infizierte Zugang zu den lebenserhalten Medikamenten haben sollte. Doch gerade jetzt seien die Gelder vieler Länder und Institutionen dafür zurückgezogen worden, erzählt Nokhwezi Hoboyi. Mitte Juni hat die TAC bei der amerikanischen Botschaft in Johannesburg dagegen dagegen protestiert. Die Begründung laute stets, die Sterblichkeitsrate ist gesunken, wir müssen uns nun um andere Probleme kümmern, erklärt Hoboyi. Doch sie werde sich damit nicht abfinden.

„Wir machen Druck. Wir werden weiter demonstrieren, um klar zu machen, dass es uns wirklich ernst ist. Wir wollen Aufmerksamkeit erzeugen, um zu zeigen, was wirklich los ist. Die Statistiken sind das eine – doch die Realität hier ist etwas anderes.“

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein, Slideshows

4. Juli 2010

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Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich haben die Deutschen überragend gespielt. Natürlich hat es Joachim Löw verstanden, Messi dadurch kaltzustellen, dass die Passwege zu ihm verbaut waren und Messi wie ein Kind wirkte, mit dem niemand spielen will. Natürlich hat sich Bastian Schweinsteiger, der im südafrikanischen Fernsehen „Swainsteigör“ genannt wird, zu einer der herausragenden Spielerpersönlichkeiten dieser WM aufgeschwungen. Aber natürlich kann auch nicht unerwähnt bleiben, welch großen Anteil wir daran haben, dass die Deutschen im Halbfinale stehen.

Erstens: Wir waren nicht im Stadion, anders als bei den Spielen Deutschland gegen Serbien und Ghana gegen Uruguay, als noch jeweils die falsche Mannschaft gewonnen hatte. Wir hatten noch kurz überlegt, ob wir zum Viertelfinale nach Kapstadt flitzen sollten, haben aber im Interesse des deutschen Fußballs davon abgesehen.

Zweitens: unsere Voodoo-Puppe, die wir von unseren brasilianischen Freunden bekommen hatten. Die haben wir in der Bar, in der wir das Spiel mit Freunden und Kollegen aus Deutschland sahen, so vor der Leinwand drapiert, dass sie ihre zerstörerischen Kräfte ungehindert entfalten konnte.

Drittens: Kurz vor Spielbeginn haben wir bei den Weisen von Johannesburg Halt gemacht. Auf dem Weg in die Bar waren wir zufällig am Deutschen Altersheim vorbeigekommen und wollten kurz sehen, wie die Damen und Herren das Spiel dort verfolgen. Im Café des Heims saßen nur Gonny und Margareth vor dem Fernseher. Die erzählten uns, dass samstags normalerweise ein Kaffeekränzchen angesetzt, das wegen des Spiels aber abgeblasen worden sei. Wo all die anderen seien, wüssten sie nicht, sagte Margareth. Sie aber wollten sich das Spiel auf keinen Fall entgehen lassen. „Nur weil wir alt sind, heißt das doch nicht, dass wir uns ins Bett legen und aufs Sterben warten müssen.“ Gerade noch rechtzeitig, um Müllers Tor zu sehen, haben wir uns dann verabschiedet – nicht aber, ohne uns vorher mit den Damen zu einem Kaffeekränzchen in der kommenden Woche verabredet zu haben.

Viele Südafrikaner, so haben wir den Eindruck, sind nicht nur inzwischen überzeugt, dass die Deutschen den Titel holen. Sie drücken den deutschen Mannschaft auch die Daumen. So wie Gloria, die Frau, die wir für unsere Ton-Bild-Reportage vom Eröffnungsspiel begleitet hatten. Sie schickte uns gestern aus dem Kapstädter Stadion diese SMS:

„Hey Kai, just want to say hallo. hope you´re enjoying the world cup. guess what I think Germany wants to take the cup, they have been playing beautiful football. I´m at the stadium watching them live.“

Sie schrieb außerdem, dass sie mitten unter Deutschen sitze und sich gerade an ein paar deutschen Gesängen probiere. In einem Fernkurs haben wir ihr dann beigebracht, wie man „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ singt. Wenn wir schon nicht selbst im Stadion sitzen konnten, waren wir so wenigstens auf diese Weise Teil dessen, was sich an diesem sonnigen Winternachmittag Wunderbares in Kapstadt abspielte.

PS: Und macht Euch daheim in Deutschland keine Sorgen ums Halbfinale. Gemäß des Nike-Fluchs sind jetzt eben Fabregas, Piquet und Iniesta dran.

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein

3. Juli 2010

2 Kommentare

Wenn am 11. Juli in Johannesburg das Finale angepfiffen wird, werden seit WM-Beginn allein in Südafrika 22 000 Menschen an Aids gestorben sein. Das sind mehr als 700 pro Tag: Mütter und Väter, die ihre Kinder zu Waisen machen, Söhne und Töchter, die ihre Eltern in düsterer Trauer zurücklassen. In Deutschland ist der HI-Virus inzwischen weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung gerutscht. Im südlichen Afrika gehört die Seuche zum Leben wie die täglich aufgehende Sonne, sie zieht nach wie vor tiefe Furchen durch die Gesellschaft. Der deutsche Pfarrer Stefan Hippler, der in Kapstadt eine Hilfsorganisation aufgebaut hat, hat gemeinsam mit dem Zeit-Korrespondenten Bartholomäus Grill ein eindrucksvolles Buch darüber geschrieben: „Gott, Aids, Afrika“. Lest dieses Buch, auch wenn es schon im November 2008 erschienen ist, hat es nichts von seiner Bedeutung verloren! Weil die internationale Staatengemeinschaft angekündigt hat, die Gelder für die Behandlung Infizierter trotzdem zurückzufahren, hat die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ am Samstag ihr eigenes Fußballturnier veranstaltet, auf einem staubigen Feld mitten in Johannesburg – zwischen Miriam Makeba Street, deren Graffiti-Porträt überlebensgroß an eine Hauswand gesprüht ist, und dem Highway, der zum Soccer-City-Stadion führt. Vom Glamour zuckersüßen Coca Cola-Glücks hätte dieses Turnier kaum weiter entfernt sein können.

Auf dem Feld standen Mannschaften aus Kapstadt, Simbabwe und Mosambik. Männer und Frauen, manche mit abgemagerten Beinen und eingefallenen Gesichtern, andere dagegen so vital und mit Ernst bei der Sache, dass niemand auf die Idee hätte kommen können, dass jede Mannschaft einen unsichtbaren Mitspieler auf dem Platz hatte: den Virus. Überschrieben war das Turnier mit dem Titel „Halftime“, seine Botschaft lautete: Es ist erst die Hälfte dessen erreicht, was die internationale Gemeinschaft versprochen hat. Vier Millionen Menschen haben inzwischen weltweit Zugang zu einer antiretroviralen Therapie, die ihnen nicht nur ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, sondern überhaupt: ein Leben. Über neun Millionen bleibt dies bislang jedoch noch verwehrt. Mit dem Turnier wollen „Ärzte ohne Grenzen“ dagegen protestieren, gerade jetzt die Fördergelder zu reduzieren. „Es käme doch niemand auf die Idee, die WM vor den Halbfinal-Spielen abzubrechen“, sagte uns Gilles van Cutsem, der ein Ärzte ohne Grenzen-Projekt in Khayelitsha koordiniert, dem größten Township von Kapstadt. Wir haben außerdem Nokhwezi Hoboyi kennengelernt, eine junge Frau, die seit zwölf Jahren infiziert ist und schon zwei Kinder wegen AIDS verloren hat. Sie gehört zur Organisation „Treatment Action Campaign“ (TAC), die sich vor über zehn Jahren gegründet hat mit dem Ziel, die Politiker mit allem Nachdruck an ihre Verantwortung zu erinnern. Was sie zu sagen hat, werden wir hier bald in einer Ton-Bild-Reportage dokumentieren.

Und dann lief uns Tabelo über den Weg und hat uns demonstriert, dass Pillen allein nicht helfen werden, der Seuche Herr zu werden. Dies ist seine Geschichte:

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„Ja, ich bin positiv, seit zwölf Jahren. Ich weiß nicht, wie ich infiziert wurde. Ich bin ins Krankenhaus gegangen und habe dort erfahren, dass ich HIV-positiv bin. Weißt Du, wir hatten davor keine Informationen über solche Dinge. Kondome und sowas. Wir haben es einfach gemacht. Selbst heute, wo wir wissen, dass wir Kondome benutzen müssen, tun wir das nicht. Wir vergessen es. Und wir mögen sie nicht. Weil man damit nicht das Gefühl hat, Sex zu haben. Wir wissen, dass es eine Gefahr gibt. Deshalb bitten wir TAC, die Leute über HIV zu unterrichten. Denn in den Squatter-Camps haben die Leute keine Vorstellung davon, was da passiert. Auf dem Land wissen die Leute nicht, was passiert. Deshalb sterben sie.“

Es ist nicht nur die Weigerung, Kondome zu benutzen, die einen ratlos macht. Es ist auch Tabelos Überzeugung, dass der Virus mit der antiretroviralen Behandlung komplett besiegt werden könne. Der Kampf gegen die Seuche ist nicht nur einer um Medikamente und Geld – es ist auch einer um das Wissen der Menschen, und der wird noch schwieriger zu gewinnen sein.

Man kann der Fifa nicht nachsagen, dass sie sich nicht auch dieses Themas angenommen hätte, sie tut es allerdings nur dort, wo die Weltöffentlichkeit nicht hinsehen kann: auf dem Klo. Wir haben uns das unfassbare Spiel zwischen Ghana und Uruguay live im Stadion angesehen (Was soll man über diese Ungerechtigkeit noch sagen? Schweigend sind wir nach dem letzten Elfmeter durch die Winternacht zu unserem Auto spaziert, vorbei an in die Bäume gehängten Leuchtgirlanden, die nach diesem Spiel nur noch trister gewirkt haben.). Auf den Toiletten des Stadions standen Schachteln mit Päckchen, die auf den ersten Blick aussahen wie in Plastikfolie eingeschweißte Reinigungstücher. Darin waren aber je vier Kondome. Die Geste mag gut gemeint sein. Nur: Warum nutzt die Fifa die WM-Bühne, um Mannschaftskapitäne vor Spielbeginn zum Kampf gegen Rassismus aufrufen zu lassen – und nicht, um ein eindrucksvolles Zeichen dafür zu setzen, dass auch der Kampf gegen HIV die ganze Welt angeht? Die erste WM auf afrikanischem Boden geht in einer Woche zu Ende – was für eine vergebene Chance.

Und noch ein Tipp für alle Berliner: Auch die deutsche Sektion der „Ärzte ohne Grenzen“ ruft die “Halftime” aus und zeigt am 9. Juli im WM-Klub Tante Käthe den Film „Positive Ladies Soccer Club“.

Ein Update in eigener Sache: Auf unserem Unterstützer-Konto haben wir inzwischen die 1000-Euro-Schallmauer unterbrochen. Vielen Dank allen, denen unsere Geschichten aus Südafrika so wertvoll waren, dass sie dafür ihren eigenen Beitrag geleistet haben. Und unsere Facebook-Gruppe ist inzwischen auf exakt 400 Mitglieder angewachsen.

¬ geschrieben von kaischaechtele in Allgemein

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