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Tag 24: Südafrika zeigt Ubuntu

28. Juni 2010

Durban – Berlin – Port St. Johns – Durban: Bis es soweit war, dass wir das Achtelfinale Deutschland gegen England gemeinsam mit Edison Mavundza sahen, musste eine etwas mehr als ein MB große Datei erst von Afrika nach Europa und wieder zurück reisen. Edison hatte eine Email unter anderem an Lorenz Schröter geschickt, einen befreundeten Journalisten aus Berlin, in deren Anhang eine Power-Point-Datei steckte mit dem Titel „It does not matter that we did not qualify“. Es ist der Auftrag an die Südafrikaner, die WM trotz des Ausscheidens der eigenen Mannschaft genauso leidenschaftlich zu begleiten, wie sie das während der Gruppenphase getan hatten. Und zwar so:

„choose another country to support
paint your face for that team
fill the fan parks
help a tourist
say hello to new people
fly the flags even higher“

Lorenz reichte diese Email an uns weiter, und als wir Edison am Wochenende anriefen und fragten, ob er denn Lust habe, uns eine Zeit lang an seiner WM teilhaben zu lassen, überlegte er keine Sekunde und sagte: “Klar, ruft an, wenn ihr hier seid.” Und so trafen wir ihn heute, um gemeinsam mit ihm das Deutschlandspiel zu sehen.

Durban, so sagte man uns, werde die erste wirklich afrikanische Stadt auf unserer Reise sein. Kapstadt sei viel zu europäisch, all die anderen Städte, die bislang auf unserer Route lagen, viel zu klein. In Durban aber würden wir zum ersten Mal erleben, dass diese WM tatsächlich in Afrika stattfindet. So gesehen war der Auftakt ein Reinfall: Es hat den ganzen Tag über geregnet, die Menschen verkrochen sich zuhause oder unter Regenschirmen, die Plakate neben den Palmen, auf denen „The warmest place to be in 2010“ stand, wirkten in etwa so plausibel wie der Nike-Werbespot, in dem Wayne Rooney den Ritterschlag von Queen Elizabeth erhält. Nebenbei bemerkt: Der Nutella-Fluch ist inzwischen offenbar vom Nike-Fluch abgelöst worden. Früher galt die Regel: Wer für Brotaufstrich wirbt, ist früher oder später fußballerisch erledigt. Man schaue sich jetzt mal aufmerksam den aktuellen Nike-Film an: Drogba? Raus. Cannavaro? Raus. Ribéry? Raus. Rooney? raus. Ronaldo ist auch bald an der Reihe. Und ist es außerdem nicht schön, dass mit Capello auch der letzte Italiener das Turnier geräumt hat? Doch wir schweifen ab. Wo waren wir stehen geblieben? Richtig: bei Edison.

Edison stammt aus Pretoria, er spricht Tsonga, eine der elf Landessprachen. Wenn er sich in seiner Erstsprache vorstellt, klingt das so:

Nach Durban kam er, um als Wissenschaftler in einem Malaria-Forschungsprogramm mitzuarbeiten. Seine Biographie ist exemplarisch für viele Schwarze, wenn auch noch viel zu wenige in diesem Land: Er ist 28 Jahre alt, die Rigidität der Apartheid kennt er vor allem aus den Geschichten der Älteren, die davon erzählen, dass Schwarze nicht auf denselben Parkbänken sitzen durften wie Weiße und Schwarze nicht dieselben Chancen hatten wie Weiße, etwas aus ihrem Leben zu machen. Edions Eltern gehören noch einer Generation an, die die Schule ohne vernünftigen Abschluss verlassen haben. Weil es ihr Sohn später besser haben sollte, schickten sie ihn zur Universität. Seine Arbeit als Wissenschafter bedeutet ihm viel, seine Leidenschaft aber gehört dem Fußball. Doch die allein war nicht der Grund dafür, dass es ihm eine Selbstverständlichkeit war, den Nachmittag mit uns zu verbringen. Sondern: Ubuntu.

„Es gibt etwas in Afrika, das wir Ubuntu nennen, vor allem in Südafrika. Es bedeutet: sich um andere kümmern. Es heißt Menschlichkeit. Egal, wohin man in Südafrika geht: Man trifft dort auf Ubuntu. So wie jetzt: Ihr kamt nach Südafrika und habt mich gefragt, ob ich euch ein bisschen herumführen kann. Also habe ich Ubuntu gezeigt. Menschen in Afrika sind sehr herzlich. Ihr habt es in anderen Städten ja auch erlebt: Die Leute haben euch gefragt, ob ihr etwas essen wollt, ob es euch gut geht. Es gibt kein Haus, das ihr besucht, in dem euch nichts zu essen angeboten wird. Das ist der Punkt. Es wäre eine Beleidigung für Menschen in Afrika, wenn man sie besucht und dort nichts bekommt. Man muss einfach etwas bekommen.“

Edison ist ein passionierter Fußballfan. Er ist Anhänger der Orlando Pirates aus Johannesburg, deren Trikot er auf dem Bild oben einen Spalt breit zur Schau stellt. Er kennt sich aber auch genauso gut im deutschen wie im englischen Fußball aus. Nach dem Ausscheiden der Südafrikaner gehören seine Sympathien zwar den Ghanaern, aber weil er guten Fußball liebt, quittierte er den furiosen Sieg der Deutschen mit einem anerkennenden Nicken. Sie hätten die Engländer gegen die Wand gespielt und keiner sei, fast noch wichtiger, nur auf den eigenen Glanz bedacht gewesen. Und er wünsche uns, dass Deutschland im Viertelfinale genauso auftreten wird. Was denn nun mit den Südafrikanern sei, fragten wir ihn zum Abschied.

„Ihr müsst euch nur umschauen. Die Leute tragen immer noch Südafrikaflaggen mit sich herum und Bafana Bafana-Shirts, obwohl wir draußen sind. Keiner jammert. Oder habt ihr jemanden erlebt, der sich über die Spieler beschwert hätte? Nein, sie feiern, dass wir die Gastgeber unserer Besucher sind.“

Und es stimmt: Auch wir haben noch niemanden getroffen, der es schon immer gewusst hat, dass die Südafrikaner nichts reißen würden, niemand hat darüber geschimpft, dass die Südafrikaner als der erste WM-Gastgeber in die Geschichte eingehen werden, der die Gruppenphase nicht überstanden hat. Südafrika zeigt Ubuntu. Heute nachmittag wird die Gastfreundschaft zumindest der Durbaner allerdings auf eine harte Probe gestellt: Dann fallen die Niederländer über die Stadt herein.

3 Kommentare zu 'Tag 24: Südafrika zeigt Ubuntu'

  1. [...] Pathos behauptet: “It does not matter that we did not qualify“, und der ihnen erklärt, was es mit “Ubuntu” auf sich hat. Die von den Kindern aus dem Township Walmer, die dank eines Spendenaufrufes der Hilfsorganisation [...]

  2. [...] ist eine Kollegin von Edison, auch sie arbeitet im Malaria-Forschungsprogramm, sie hat sich auf Moskitos spezialisiert. Im [...]

  3. [...] noch die neue Folge unserer Ton-Bild-Reportagen über das Herz von Durban präsentieren. Elda und Edison, die beiden Maleria-Forscher, hatten versprochen, uns den Ort zu zeigen, der uns spüren lässt, [...]

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