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Tag 20: Heinz, good luck for Germany!

24. Juni 2010

Als wir uns vor drei Wochen auf den Weg nach Südafrika gemacht haben, hatten wir die Frage im Gepäck: Würde dieses Land in den vor uns liegenden Wochen ein Wintermärchen erleben, so wie Deutschland vier Jahre zuvor sein Sommermärchen hatte? Diese Frage ist seit Dienstag abend so gut wie beantwortet: nein, leider nicht. Zu einem Sommermärchen hatte die WM 2006 ja nicht werden können, weil vier Wochen lang die Sonne schien und auf manche Autos mehr Fahnen montiert waren als Reifen. Ein Sommermärchen war es von dem Moment an geworden, als Oliver Neuville in der Partie gegen Polen kurz vor Schluss den Ball ins Netz schob, es war das zweite Gruppenspiel. Erst dadurch waren die Deutschen zu dem fröhlichen Volk geworden, das am Ende stolz darauf war, sich der Welt ganz anders präsentiert zu haben, als die Welt das vermutet hatte: mit einem Lächeln im Gesicht, mit Leidenschaft und Optimismus.

Ein solcher Moment ist den Südafrikanern leider verwehrt geblieben. Doch was machen die Südafrikaner? Sie lächeln einfach weiter. Und weiß Gott, nachdem deren Nationalmannschaft das zweite Tor gegen die Franzosen erzielt hatte, war der Lärm in der Bar, in der wir das Spiel sahen, so laut, dass er auch hundert Vuvuzelas verschluckt hätte – wenn die dort nicht verboten gewesen wären. In einer Bar wie dem Joburg in Kapstadt, wo wir das Auftaktspiel verfolgt hatten, wäre ein Vuvuzela-Verbot in etwa so sinnvoll gewesen wie der Versuch, den Bierkonsum zu unterbinden. Wir saßen aber im überdachten Außenbereich einer Rugby-Kneipe in East-London, direkt am Meer, und dort ist die Vuvuzela so beliebt wie ein American Football-Fan. Die überwiegende Mehrheit des Publikums war weiß, nur vereinzelt hatten sich ein paar Schwarze darunter gemischt. East-London ist eine Kleinstadt im Südosten des Landes, und dass die Rassen hier noch lange nicht zusammen gewachsen sind, sieht man allein daran, dass Schwarze durch die Gitter eines sich abschottenden Wohnviertels Reklame in die Briefkästen stecken, die dahinter aufgebaut sind. Über Südafrika hängt die Angst vor Einbrüchen und Überfällen wie eine schwere Wolke, die sich mal leer regnen müsste. Doch sie ist in den vergangenen Jahren nur noch größer geworden.

Immerhin: Dass im Boocaneer´s fast nur Weiße saßen, kann man als Zeichen dafür werten, dass an diesem Nachmittag dann doch die ganze Nation hinter der Mannschaft stand. Einer davon war Gordon Rogers, ein stämmiger Mann, der das ganze Spiel über heimischen Rotwein trank und Zigarillos rauchte. Rogers ist Südafrikaner, durch und durch, obwohl seine Eltern aus Schottland stammen. Es ist wohl auf seine europäischen Wurzeln zurückzuführen, dass er sich vor einer Leinwand, auf der ein Fußballspiel läuft, genauso verausgabt wie vor einer, auf der Rugby übertragen wird. Man höre sich nur seine Stimme nach dem Spiel an:

“Ich finde, das Wichtigste ist: Es spielt keine Rolle, welchen Sport wir uns ansehen. Ob es Fußball ist… Ich bin ein typischer Südafrikaner. Ich liebe Rugby. Rugby ist kein Sport in Südafrika, es ist beinahe eine Religion. Aber es spielt keine Rolle, ob es Beach-Volleyball ist, Hockey oder Tennis: Wir sind alle Südafrikaner. Und wir müssen alle hinter unserer Nationalmannschaft stehen, unabhängig vom sportlichen Kodex. Und wir tun das.

Rogers ist Patriot, auch wenn er erst Südafrikaner in der ersten Generation ist. Oder vielleicht gerade deshalb. Er trägt nicht den Ballast mit sich herum, der noch immer schwer auf diesem Land liegt. Egal, mit wem man in diesen Tagen spricht, die Folgen der Apartheid kommen früher oder später immer zur Sprache. Rogers dagegen hat das Wort in unserem Gespräch kein einziges Mal erwähnt. Der 50-Jährige betreibt eine Baufirma, mit der er im Auftrag der Regierung Häuser bat, die meisten im Rahmen von Sozialbau-Programmen. Rogers war schlau genug, seine Firma schon mehrere Jahre vor dem Wandel auf das Ende der Apartheid vorzubereiten. Rogers ist nicht nur patriotisch, er ist genauso pragmatisch.

Auch er war nach dem Spiel enttäuscht über den Ausgang des Spiels. Das südafrikanische Wintermärchen kam leider nicht über den Prolog hinaus, nach nur drei Spielen ist die WM für Bafana Bafana vorbei. Am nächsten Tag schrieben die Zeitungen trotzdem: Danke, Jungs, dafür, dass ihr uns stolz gemacht habt! Die Südafrikaner haben einen ganz eigenen Umgang mit solchen Momenten etabliert: Sie suchen stets im Schlechten das Gute. Und so stellten wir auch Gordon die Frage: Was wird von dieser WM übrig bleiben, wenn die Welt nicht mehr nach Südafrika blickt?

“Das wird sehr interessant werden: Ich weiß nicht, wie sich all die Investitionen, die in diese WM gesteckt wurden, in der Zukunft rechnen werden. Erinnerungen kann man nicht kaufen und man kann sie auch nicht beziffern. Und es gibt vieles in diesem Land, worin das Geld sicher sinnvoller investiert worden wäre. Aber von diesem Ereignis ging eine ungeheuer vereinigende Energie aus. Und es wird ein Potential für die Zukunft bleiben, das wir hoffentlich voll ausschöpfen können. Auch, weil wir uns der ganzen Welt präsentieren können: Touristen kommen in unser Land und erzählen ihren Freunden davon. Wir sind einfach das schönste Land der Welt. Und hoffentlich kommen nach der WM viele Leute zu uns und bringen Euro, Pfund und Dollar mit. Und sie werden sehen: Es steckt nicht hinter jeder Ecke ein Löwe, in Soweto gibt es keinen Krieg. Südafrika ist das zauberhafteste Land, mit allem, was Gott hervorgebracht hat. Und die wundervollsten Menschen.”

Zum Schluss fragten wir Gordon noch, ob es noch irgendetwas zu sagen gebe. Ja, antwortete er.

Hat ja geholfen.

3 Kommentare zu 'Tag 20: Heinz, good luck for Germany!'

  1. Nicolai sagte am 24. Juni 2010 um 12:37 Uhr:

    Toll, jetzt habe ich den ganzen Vormittag gelesen anstatt zu arbeiten – herzlichen Dank auch!!!!!!

  2. kaischaechtele sagte am 25. Juni 2010 um 10:48 Uhr:

    Jesses, das kann natürlich keiner gewollt haben.

  3. dLTexid sagte am 29. Juni 2010 um 02:00 Uhr:

    “Aber von diesem Ereignis ging eine ungeheuer vereinigende Energie aus.”

    Ich glaube das wird das nachhaltigste Ergebnis der WM für die Republik sein.

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