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Finale: Was bleibt?

10. Juli 2010

Als die Partie zwischen Paraguay und Kambodscha abgepfiffen ist, holt die erste Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden noch einmal tief Luft. Die Mannschaften haben kaum den Kunstrasen geräumt, als Helfer einen Tisch mit Computer und Mischpult aufs Feld tragen, verfolgt von einer Sonnenbrille auf zwei Beinen. Es ist der DJ, der sich nun daran macht, seinen Arbeitsplatz einzurichten. Kabel in die Buchsen, Kopfhörer über die Ohren, Computer aufgeklappt. Auf der Tribüne bringen sich derweil die Mädchen in Pose, die Mütter ziehen die Tücher fest, mit dem sie ihre Babys auf den Rücken gespannt haben, die Jungs verstecken sich hinter ihrer Coolness. Als der DJ seinen Bass endlich freigibt, verwandelt sich in Sekunden das, was gerade noch das Publikum des “Football for Hope”-Festivals war, in eine bunte, vor sich hin zappelnde Masse: mit in den Himmel gestreckten Vuvuzelas, tanzenden Mädchen und Jungs, die sich zaghaft aus ihren Verstecken trauen. Und dann kommt die inoffizielle Hymne dieser WM, „Wavin´ flag“, den sich eine amerikanische Brausebrauerei zu Eigen gemacht hat, und treibt die Menge in Ekstase.

An diesen Spätnachmittag holen sich die Menschen den Song einfach zurück. Als der Refrain läuft, wird aus der WM, diesem durchkommerzialisierten Weltspektakel, für einen Moment das, was in Werbeclips sonst nur inszeniert wird: eine Bühne derer, die der Fußball zusammengeholt hat und die alle gemeinsam ihre Freude darüber herausschreien.

Keine Frage ist in den vergangenen Wochen intensiver diskutiert worden als diese, unter Weißen und Schwarzen, Armen und Reichen, Fußballfans und Rugbyanhängern, Südafrikanern und ihren Gästen: Was bleibt, wenn die Welt das Land verlassen haben wird und die Südafrikaner zurückbleiben: mit ihren prunkvollen Stadien, für die es keine Verwendung mehr gibt, mit ihren absurd hohen Schulden, die das Land dafür angehäuft hat – was bleibt von dieser ersten Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden? Doch lässt sich eine solche Frage befriedigend beantworten, wenn sie von so vielen Menschen mit so unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen gestellt wird? Wahrscheinlich ist es sinnvoller, sich einfach anzusehen, was diese WM mit den Menschen in Südafrika macht. Und es gibt dafür kaum einen besseren Ort als das „Football for Hope“-Festival mitten in Alexandra, einem der ärmsten Townships Johannesburgs, in dem viele Menschen weitgehend sich selbst überlassen sind. Früher, so erzählt man sich in den Straßen, habe es hier jeden Tag eine Beerdigung geben, heute gebe es Hoffnung. Und das sei auch ein Verdienst dieser Fußball-WM.

Dabei war das, was in Alexandra passiert, gar keine Idee der Fifa, auch wenn sie das komplette Festivalgelände so mit ihren Bannern bepflastert hat, dass bitteschön niemandem entgehen möge: Das viele Geld, das wir einnehmen, sind wir auch bereit, für gute Zwecke auszugeben. Das Festival geht zurück auf „Streetfootballworld“, eine Organisation, die ihren Sitz in Berlin-Moabit hat und seit 2002 daran arbeitet, den Fußball als Motor für soziale Entwicklungen einzusetzen. Zum ersten Mal fand das Festival während der WM 2006 im Berlin statt, und weil die Fifa fand, dass es sich ideal in seine Strategie einfügt, hat sie das Festival diesmal in seine Obhut genommen und das Festivalgelände offiziell zum elften Austragungsort dieser WM erklärt. Wie bei den Großen treten hier 32 Mannschaften aus aller Welt an, doch die aus Mädchen und Jungen zusammengesetzten Teams konnten sich dafür nicht qualifizieren, sie mussten sich bewerben. Wichtig seien weniger die sportlichen Fähigkeiten gewesen, sagt Sarah Bagel von „Streetfootballwork“, die dieses Festival mit ihren über 20 Kollegen seit eineinhalb Jahren vorbereitet hat. Sondern dass die Organisationen aus den einzelnen Ländern die Idee verinnerlicht hätten, die hinter dem Festival steht.

Der Fußball ist der Magnet, der die Menschen anzieht. Und wenn sie dann schon einmal da sind, kann man ihnen nebenbei die Botschaften mit auf den Weg geben, die ihnen zu einem gesünderen, sicheren, schlicht: besseren Leben verhelfen sollen. Weltweit haben sich Organisationen diesem Prinzip verschrieben, auch die, die am Turnier in Johannesburg teilnehmen. Bei „Red Paraguaya de Partidi“ etwa spielen paraguayische Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien Fußball und lernen, wie sie das Verhalten auf dem Platz auf ihren Alltag übertragen können. Bei „Spirit of Soccer“ treffen sich Jugendliche aus Kambodscha zum Kicken, lernen anschließend, wie man sich vor Landminen schützt, und geben dieses Wissen an ihre Gleichaltrigen weiter. Und das „Team Alexandra“, die Heimmannschaft, wenn man so will, wurde von „Play Soccer“ entsandt, wo Jugendliche sich genauso darin weiterbilden, wie man sich vor HIV/Aids schützt, wie davor, dem Gruppenzwang zu Alkohol zu widerstehen. Von allen Kontinenten stammen die Mannschaften, der überwiegende Teil aus Afrika. Sie sind der Beweis dafür, dass das Klischee vom Fußball, der ein Leben in Wohlstand und Ruhm ermögliche, von einer viel wirkungsmächtigeren Idee abgelöst worden ist: Wo eine Gesellschaft damit überfordert ist, sich um die sozialen Belange ihrer Schwachen zu kümmern, ist es unter anderem der Fußball, der diese Lücke füllt.

Eine Woche vor Ende der WM hat das Festival begonnen, jeden Morgen standen die Menschen aus dem Township Schlange vor den Türen, um einen Platz auf der Tribüne zu ergattern. Alexandra ist als Austragungsort für dieses Festival der symbolträchtigste, den man sich denken kann. Hier begannen 2008 die fremdenfeindlichen Ausschreitungen, die Südafrika weltweit in die Schlagzeilen brachten: Die Ausländer nehmen uns Arbeit weg und bringen Kriminalität mit – das war die Begründung derer, die Jagd gemacht hatten auf Menschen aus Simbabwe, Mosambik oder dem Kongo. Die waren mit der Hoffnung nach Südafrika gekommen, der Aussichtslosigkeit in ihren Heimatländern zu entfliehen. Durch Johannesburg geht zum Ende der WM das Gerücht, dass die Ausschreitungen unmittelbar danach wieder aufflammen könnten. Wenig hat sich in Leben der Menschen in Alexandra seit der Überwindung der Apartheid geändert, und man kann die Verbitterung umso besser nachvollziehen, wenn man nur ein paar Kilometer weiter fährt und sieht, wie sich der Wohlstand dort hinter hohen Mauern und Elektrozäunen verschanzt.

Auch dem Fußball wird es nicht gelingen, die Barrieren einzureißen, die im Südafrika des Jahres 2010 nach wie vor herumstehen; erst recht nicht eine Fußball-Weltmeisterschaft, die für vier Wochen über das Land hereingefallen ist und von der die meisten doch kaum mehr mitbekommen haben als das, was im Fernsehen lief. Doch die Tage des „Football for Hope“-Festivals haben wenigstens das eine gezeigt: Wenn nicht die Menschen zum Fußball kommen müssen, sondern der Fußball zu den Menschen geht, kann dort die Hoffnung auf ein besseres Leben entstehen. Nach dem Ende des Festivals wird der Platz an anderer Stelle neu aufgebaut, bis 2012 sollen insgesamt 20 solcher Fußball-Bildungszentren in ganz Afrika entstehen, von Südafrika bis Ruanda.

Und so lässt sich der Wert dieser WM am Ende wohl weder in Wirtschaftsdaten messen noch in der Summe des Geldes, das die Touristen während der WM ins Land gebracht haben, von denen über 500 000 während der WM gekommen sein sollen. Was von dieser WM bleiben wird, ist die Botschaft, dass der Fußball, dieses einfache und simple Spiel, Afrika und die Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt, dem Rest der Welt ein Stück näher gebracht hat. Doch die wahre Herausforderung beginnt erst, wenn das Finale abgepfiffen sein und Shakira ein letztes Mal ihre Hüften zur offiziellen Hymne dieser WM geschwungen haben wird. Dann wird sich auch zeigen, ob es der Fifa beim “Football for Hope”-Festival in Alexandra mehr ums Festival ging oder mehr um die Hoffnung.

In eigener Sache: Damit schließt das “Wintermärchen 2010″ seine Pforten. Es wird an dieser Stelle demnächst noch eine Zusammenstellung der schönsten Szenen aus den Ton-Bild-Reportagen geben, und das wars dann. Wir danken allen für jede ideelle und finanzielle Unterstützung in den vergangenen Wochen, Euer Feedback hat unsere Maschine immer wieder mit neuem Treibstoff befeuert. Und wer sich zum Schluss nun denkt: Hach, hat schon Spaß gemacht, schade dass es vorbei ist, dafür haben die Herren Frey & Schächtele aber auch ein ordentliches Honorar verdient – wir freuen uns über jeden Beitrag.

7 Kommentare zu 'Finale: Was bleibt?'

  1. Ali sagte am 10. Juli 2010 um 22:48 Uhr:

    Wenn ich auf die zweite und dritte Audiodatei klicke, dann erhalte ich leider nur die Fehlermeldung, dass die Dateien nicht gefunden werden konnten.

    Die Frage klingt jetzt vielleicht doof: Kamen die Teilnehmer eigens für die kleine WM aus den verschiedenen Ländern oder sind das Südafrikaner mit unterschiedlichen Wurzeln. Das ist mir nicht ganz klar.

    Das zweite Foto ist echt super geworden. :)

  2. Gabriele sagte am 11. Juli 2010 um 08:17 Uhr:

    Hallo, Ihr da unten! Hat mich täglich gefreut, Euch durch das Land zu begleiten, zu sehen und zu hören, was Ihr seht und hört. Meinem romantischen Herz hat natürlich am meisten die Liebesgeschichte gefallen. Beneide Euch um Eure Eindrücke und Erfahrungen. Vielleicht mag Euch das Wintermärchen 2010 finanziell nichts eingebracht haben, höchstwahrscheinlich habt Ihr erheblich draufbezahlt, aber der geschaffene Wert verflüchtigt sich nicht, wird sich auf noch unbestimmte Art verdoppeln und verdreifachen.
    Herzlich,
    Gabriele

  3. kaischaechtele sagte am 11. Juli 2010 um 16:06 Uhr:

    Hallo Ali, bei uns funktionieren die O-Töne. Probiers am besten nochmal. Und die Mannschaften sind aus ihren Heimatländern alle angereist. Die Bedingung von Steetfootballworld war, dass die teilnehmenden Organisationen die Kosten für die Reise selbst tragen, alles andere wurde bezahlt.

  4. kaischaechtele sagte am 11. Juli 2010 um 16:07 Uhr:

    Ach, liebe Gabriele, allein solcher Reaktionen zum Schluss wegen wissen wir, dass jeder einzelne ausgegebene Euro bzw. Rand, von denen sich am Ende ein Berg auftürmen wird, auf dem wir ausgedehnte Wandertouren unternehmen könnten, gut investiert war.

  5. Stephan sagte am 12. Juli 2010 um 08:34 Uhr:

    ich bin ein wenig traurig, dass die WM hier sein Ende hat, v.a. weil mich Eure Eindrücke tagtäglich bewegt, erstaunt begeistert und faszininiert haben. Da wünsche ich mir schon jetzt die EM in Polen und der Ukraine herbei, in der Hoffnung, dass Ihr dort etwas ähnliches machen werdet. Genießt die letzte Woche vor Ort,
    Liebe Grüsse,
    Stephan

  6. peter sagte am 12. Juli 2010 um 09:29 Uhr:

    Burschen danke! Das war vier Wochen lang großes Kino!!! Geniesst das Auslaufen. Lg Peter

  7. Heinz sagte am 14. Juli 2010 um 02:20 Uhr:

    Zu krass, dass Paul der Krake das Endspiel auch korrekt prophezeit hatte.

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