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Tag 31: “Die Realität ist etwas anderes”

5. Juli 2010

Es gehört zur Realität dieser ersten Weltmeisterschaft in Afrika, dass hier Welten aufeinander prallen, die so viel miteinander zu tun haben wie der WM-Ball mit einem zusammengeknoteten Stoff-Knäuel: Mit beiden kann man Fußball spielen, doch wo der eine ein nach exakten Normen gefertigtes Hightech-Produkt aus der Ersten Welt ist, ist das andere ein Symbol dafür, wie das Leben in der Dritten Welt ist, dort, wohin kein Scheinwerfer strahlt.

Im südafrikanischen Fernsehen läuft in den Werbeunterbrechungen der WM-Spiele zum Beispiel ein Spot von Coca-Cola: Der handelt von einem computeranimierten schwarzen Jungen, der auf einer staubigen Piste Fußball spielt, dann von absurd großen Fußball-Monstern durch die Luft geschleudert wird, mit einem Schluck Cola gefüttert wird wie ein kleiner Vogel und am Ende in einem riesigen Fußballstadion landet, in dem ihm die Massen zujubeln. Bei Coca-Cola ist eben nicht nur die Limo süß, sondern auch das Klischee von Afrika.

Nokhwezi Hoboyi hat eine andere Geschichte zu erzählen. Die junge Frau kommt aus der Provinz Gauteng, einer Gegend, in der sich die einzelnen Dörfer in der Weite verlieren, mit Johannesburg in ihrem Zentrum. Nokhwezi Hoboyi ist HIV-positiv.

„Ich lebe seit zwölf Jahren mit dem Virus. Ich habe zwei Kinder durch Krankheiten verloren, die auf Aids zurückgingen. Erst nachdem sie geboren waren, habe ich herausgefunden, dass ich HIV habe. So wurden auch sie infiziert. Aber nachdem ich die antiretrovirale Behandlung begonnen hatte, habe ich mehr über HIV gelernt, weshalb ich wusste, wie ich ein Kind zur Welt bringen und es genauso wie meinen Partner schützen kann. Jetzt bin ich Mutter eines Sohnes, der HIV-negativ ist. Er wird in diesem Jahr drei Jahre alt und ist sehr gesund.“

Nokhwezi Hoboyi ist die Sprecherin der „Treament Action Campagne“ (TAC), einer südafrikanischen Organisation, die sich vor über zehn Jahren gegründet hat. Es war die Zeit, als der HI-Virus über das südliche Afrika hereinbrach wie die unsichtbare Armee einer feindlichen Macht. Die Menschen starben, ohne zu wissen warum, nur die Reichen konnten sich die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten leisten. Hoboyi beschloss, sich dafür einzusetzen, dass alle Infizierten Zugang zu diesen Medikamenten bekommen, und schloss sich der TAC ein. Bei dem von der südafrikanischen Sektion von „Medecins sans Frontieres“ organisierten Fußballturnier hielt sie eine leidenschaftliche Rede, die wir hier dokumentieren:

Halftime – Die Krise ist noch nicht vorüber from Frey und Schaechtele on Vimeo.

Zwei Drittel der weltweit mit HIV infizierten Menschen leben laut Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ im südlichen Afrika. 2010 wurde vor langer Zeit definiert als das Jahr, in dem jeder Infizierte Zugang zu den lebenserhalten Medikamenten haben sollte. Doch gerade jetzt seien die Gelder vieler Länder und Institutionen dafür zurückgezogen worden, erzählt Nokhwezi Hoboyi. Mitte Juni hat die TAC bei der amerikanischen Botschaft in Johannesburg dagegen dagegen protestiert. Die Begründung laute stets, die Sterblichkeitsrate ist gesunken, wir müssen uns nun um andere Probleme kümmern, erklärt Hoboyi. Doch sie werde sich damit nicht abfinden.

„Wir machen Druck. Wir werden weiter demonstrieren, um klar zu machen, dass es uns wirklich ernst ist. Wir wollen Aufmerksamkeit erzeugen, um zu zeigen, was wirklich los ist. Die Statistiken sind das eine – doch die Realität hier ist etwas anderes.“

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