Tag 23: Die schönste Liebesgeschichte der Welt
27. Juni 2010
Nächster Halt: Durban. Wir haben die Idylle von Port St. Johns verlassen, was uns insofern leicht fiel, als übers Wochenende ein Haufen Motorradfahrer mit historisch schlechtem Musikgeschmack über das Nest hereingefallen ist, der das Tal die ganze Nacht über mit dumpfem Provinztechno und am Tag mit Motorradgeheul und durchdrehenden Reifen traktiert hat. Durban liegt etwa fünf Autostunden weiter nördlich. Dass wir wieder zurück sind in WM-Land, merkt man allein daran, dass die Backpacker für eine Nacht so viel Geld verlangen wie sonst für vier, und daran, dass hier norwegische WM-Touristen zu Gast sind, die, wenn sie in eine Vuvuzela blasen, klingen wie an Tuberkulose erkrankte Elefanten. Am Schwarzen Brett werden Tickets fürs Finale gehandelt, aktueller Kurs: 16 000 Rand, etwa 1700 Euro. Und heute morgen ist hier Wesley Sneijder um die Ecke gehuscht, der seine Mannschaft am Montag im Stadion von Durban ins Viertelfinale gegen die Slowakei führen möchte. Es könnte aber auch nur ein gewöhnlicher Tourist gewesen sein, der verzweifelt versucht hat, noch ein Zimmer zu finden. Durban ist ausgebucht. Auch wir sitzen bislang noch auf dem Trockenen bzw. im Nassen: Es regnet und für die kommenden Nächte haben wir noch keine Unterkunft.
Bevor wir aber in die auch für die Deutschen entscheidende Phase dieses Turniers gehen, noch ein paar letzte Eindrücke aus dem Vorhof des Paradieses in Port St. Johns. Erstens: Die Niederlande, sagte der Südafrikaner Jim am Lagerfeuer, werden Weltmeister. Südafrika wurde dereinst von Seefahrern aus Holland gegründet, deren erster Jan van Riebeeck war. Afrikaans, eine der elf Landessprachen, verhält sich zum Niederländischen deshalb wie das Österreichische zum Deutschen. Jan van Riebeeck – Bert van Marwijk: Jim ist überzeugt, dass diese spirituelle Verbindung die Niederländer zum WM-Triumph führen wird. Vom spirituellen Verhängnis der Holländer, in den entscheidenden Momenten stets zu verlieren, haben wir ihm nichts erzählt, wir wollten die heimelige Atmosphäre am Feuer nicht zerstören. Und zweitens, wo wir gerade beim Österreichischen sind: In Port St. Johns haben wir auch Familie Weston aus Durban kennengelernt. Die gebürtige Grazerin Marion und Russell, ein Stamm von Mann aus Kapstadt, die Eltern; Lyla, Rugari und Singita deren Töchter. Die Westons haben uns eine so kitschige, pathetische und unglaubwürdige Geschichte erzählt, dass wir keinen Zweifel gehabt hätten, dass sie von vorn bis hinten erlogen gewesen wäre, wenn die Konsequenzen aus dieser Geschichte nicht vor uns gesessen wären. Und weil wir uns mit unserem Blog auch die Aufgabe gesetzt haben, unsere Leser glücklicher zu machen, folgt jetzt eine hinreißende Liebesgeschichte, obwohl sie nichts mit der WM zu tun hat. Aber auch im Fußball steckt ja jede Menge Leidenschaft.
Seit vielen Jahren betreibt Russell seine eigene Safarifirma, er organisiert Touren im Krügerpark und Wanderungen an der Wild Coast. Irgendwann reiste er auch nach Europa, um Marketing für sich zu betreiben, unter anderem nach Wien. Dass er in seinem Leben noch eine Frau finden würde, die sich mit ihm, dem Eigenbrötler aus einem kleinen Haus an einem Strand in der Nähe Kapstadts, einlassen würde – diese Hoffnung hatte er schon aufgegeben. Und dann lief ihm auf dem Wiener Rathausplatz bei einem Klassik-Open-Air-Konzert Marion über den Weg. Russell wusste sofort: Dies ist die Frau meiner Träume. Überfordert von diesem Moment ließ er sie jedoch davonziehen, ohne sie über seine Erkenntnis informiert zu haben. Am nächsten Abend, es war das nächste Open-Air-Konzert auf dem Rathausplatz angesetzt, legte sich Russell auf die Lauer, so wie es sich für jemanden gehört, der weiß, dass auch Tiere im Dschungel früher oder später immer an dieselbe Wasserstelle zurückkehren. Tatsächlich erschien Marion abermals. Doch Russell verpasste auch beim zweiten Mal die Chance, das Glück in seine mächtigen Pranken zu nehmen. Am nächsten Morgen schrieb er eine Postkarte an ein befreundetes Paar aus Kapstadt: „Ich habe die Frau meiner Träume gesehen. Mir geht´s gut. Russell.“
Allein kehrte er zurück nach Südafrika. Würde er eben der Eigenbrötler bleiben, jetzt aber immerhin mit dem Bewusstsein, dass die Frau existierte, die diesen Zustand würde beenden können, wenn auch tausende von Kilometern entfernt. Viele Monate später lernte er einen Österreicher kennen, einen Arzt namens Stefan, der nach Südafrika gekommen war, um für einige Zeit in einem Kapstädter Krankenhaus zu arbeiten. Die beiden freundeten sich an, sie unternahmen zusammen Wanderungen und tranken Bier. Irgendwann sagte Stefan: „Russell, meine Schwester kommt mich für drei Wochen besuchen. In meinem Krankenhaus-Apartment ist nicht genug Platz für uns zwei, kann sie nicht bei dir übernachten?“ Ja, dachte sich Russell, soll sie eben kommen. Dann holte Stefan seine Schwester vom Flughafen ab, brachte sie zu dem Mann, der ihm in den Wochen davor zu einem guten Freund geworden war, und als Marion durch Russells Tür trat, war ihm, als hätte er das Trommeln eines ganzen Dschungels im Ohr. Die Frau, die ein halbes Jahr vorher an ihm vorbei geschwebt war, die Frau, von der er seinen Freunden geschrieben hatte, er habe sie gesehen, die Eine, mit der er sein Leben verbringen wolle, stand plötzlich vor ihm. Marion hatte ihrerseits das feste Gefühl, zu Hause angekommen zu sein, ohne davor geahnt zu haben, dass es dieses Zuhause überhaupt gibt.
Acht Monate später wickelte sie ihr Leben in Österreich ab und zog zu ihm, seit vierzehn Jahren sind sie ein Paar und inzwischen eine fünfköpfige Familie. Auf dem Bild oben ist außerdem der Sohn der Familie zu sehen, der Russell die Postkarte geschrieben hatte. Nur ein Detail trübt noch ihr Glück: Sie hätten die Postkarte gern zurück. Doch die Freunde weigern sich, sie herauszurücken. Wahrscheinlich, weil sie ein so überwältigendes Symbol dafür ist, dass sich die Liebe ihren Weg selbst bahnt, wenn man sie lässt. Wie töricht wäre es da, sie leichtfertig aus der Hand zu geben.
Und damit: zurück zur WM.
Update, 12.40 Uhr: Gerade noch rechtzeitig, um zum Deutschandspiel vor einer Leinwand im Regen zu sehen, haben wir ein Zimmer gefunden, mit obligatorischem WM-Aufschlag, dafür aber mit Frühstück. Ob es sogar für ein Frühstücksei reicht? Und weil wir immer wieder gefragt werden, ob man unsere Reise nicht auch unterstützen kann, wenn man nicht per Paypal überweisen möchte: aber sicher. Weil wir aber ungern unsere Kontodaten ins Netz stellen: Wer an uns direkt überweisen möchte, schreibe an SCHAECHTELE – das runde Ding mit dem kleinen a in der Mitte – ME – Punkt – COM. Und wir antworten prompt mit der Kontoverbindung.
Ich weiß nicht, wie momentan die Lage in Joburg ist. Aber falls da auch alles ausgebucht sein sollte, könnte ich euch die Kontaktdaten meines ehemaligen Vermieters geben. Soweit ich weiß, wollte er auch während der WM nicht die Preise exorbitant in die Höhe treiben. Als ich noch dort wohnte (bis Mitte März) verlangte er von zeitweilig übernachtenden Besuchern 100 Rand bzw. hatte kurz vor meinem Abflug die Nacht auf 150 Rand erhöht.
Hallo Ali, vielen Dank für das Angebot. Wenn wir wissen, wann wir in Joburg ankommen, melden wir uns gegebenenfalls nochmal bei Dir.
Oh mann…ihr lieben. na das war jetzt echt eine der, nein moment, DIE abgefahrenste liebesgeschichte die ich je gehoert habe.absolut irre!! und kurt fands auch voll toll….
[...] als die Deutschen verlieren. Und die, wie ein Mann aus Kapstadt die Liebe seines Lebens in Graz fand und nochmal fand und endlich wirklich fand — “eine so kitschige, pathetische und unglaubwürdige Geschichte erzählt, dass [...]
Pippi. Augen. Danke.
schnief.
schon mal dran gedacht die story an Cecilia Ahern zu verkaufen?